Russland: Zensur durch Gerichtsprozesse?

Objection? Overruled! Images remixed by Andrey Tselikov.

Einspruch? Abgelehnt! Fotomontage von Andrej Tselikow.

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Für Pawel Durow, dem Gründer und Geschäftsführer von Russlands größtem sozialen Netzwerk, VKontakte, ist es eine Woche der Offenbarungen gewesen. Am 16. April gab Durow bekannt, dass VKontakte nicht die Zensur russischer Behörden unterstützen wird. Er wies die Forderung nach einer Sperrung von Alexej Nawalnys Antikorruptions-Community öffentlich zurück [Global Voices Bericht auf Deutsch]. In einem anschließenden Interview erläuterte er detailliert den Kunstgriff [Global Voices Bericht auf Englisch] mit seinem Rücktrittsschreiben, das er [zwei Tage später] für einen Aprilscherz erklärte. Damit wollte er dem Druck entgegenwirken, der wegen dieser Sache auf ihm lastete.

Am selben Tag gab Durow auch bekannt, dass er – als er im Januar seinen Unternehmensanteil an VKontakte in Höhe von 12 Prozent wieder verkauft hatte  – das genaugenommen nicht aus dem von ihm genannten Grund tat, nämlich dem frommen Wunsch, sich seines weltlichen Besitzes zu entledigen (immerhin Anteile, die ihm die Kontrolle über das Unternehmen verschafften, wenn man die 40 Prozent des Milliardärs Alisher Usmanov hinzurechnet, der ihm seine Stimmrechte übertragen hatte). Es ging vielmehr darum, dass ihn dieser Geschäftsanteil nicht erpressbar machen sollte, wenn er sich weigert, dem russischen Inlandsgeheimdienst [FSB] Daten über prowestliche ukrainische Aktivisten herauszugeben, die sich bei VKontakte organisiert hatten. 

Durow sagte, wenn er dieser Forderung entsprochen hätte, wäre das für ihn ein “Betrug” an Millionen von Ukrainern gewesen, die ihm vertrauten. Außerdem hat er darauf hingewiesen, dass Russland gegen ukrainische Nutzer seiner Webseite keinerlei juristische Mittel hat. In einem am 17. April mit der New Times geführten Interview sagte er, dass ihm nichts mehr gehöre, was irgendwie als “Druckmittel” gegen ihn verwendet werden kann – bei einem Mann mit einem geschätzten Vermögen von mehr als 200 Millionen US-Dollar, Stand 2012, wohl nur eine ironische Anspielung. Tatsächlich meinte er damit, dass er nichts mehr besitzt, auf das die russischen Behörden und ihre Helfershelfer Zugriff haben. Unglücklicherweise könnte diese Annahme falsch gewesen sein.

Anfang des Monats reichte der Minderheitsgesellschafter von VKontakte, der Investmentfonds United Capital Partners (UCP), eine Klage gegen Durow ein. Begründung: Verletzung seiner Treuepflichten gegenüber VKontakte als seine neueste Schöpfung, der kryptografische Messenger-Dienst Telegram, das Licht der Welt erblickte. UCP wirft Durow vor, er habe finanzielle Mittel und andere Ressourcen von VKontakte, einschließlich seiner eigenen Arbeitszeit, für die Entwicklungsarbeiten zweckentfremdet. Dadurch sei VKontakte ein Schaden entstanden. Außerdem beklagt UCP, dass Telegram direkt mit VKontakte konkurriert, was der Gesellschaft weiteren Schaden zugefügt habe. Schließlich macht UCP einen Gesamtschaden von 500 Millionen Rubel geltend und verlangt, dass Telegram und alle zugehörigen IP [Patente] auf dem Wege der Rückübertragung unter die Kontrolle von VKontakte gebracht werden.

Bis jetzt hat UCP die Kontrolle über drei Gesellschaften erlangt, die in den USA registriert und indirekt mit Telegram verbunden sind. Durow erklärte in einem Interview gegenüber TJournal, dass diese Unternehmen in den USA Eigentümer der Schutzmarke von Telegram sind. Aber gegenwärtig werden die Infrastruktur von Telegram und die IP von Durow und seinem Bruder außerhalb der USA kontrolliert (Durow gibt keine Auskunft darüber, wo das ist). Durow bezeichnet die Klage als unseriös und dass es in der Art und Weise, wie UCP seine Geschäfte betreibt, “Anzeichen für Betrügereien” gäbe.

UCP is Durows Erzfeind. Im vergangenen Jahr kaufte UCP 48 Prozent der Anteile an VKontakte und ist gegenwärtig der einzige echte Minderheitsgesellschafter (Alisher Usmanows Mail.ru-Gruppe hält den Rest). Durow hält fest, dass dieser durch UCP erfolgte Kauf im Geheimen vorbereitet wurde und deshalb illegal war. Kürzlich reichte eine Tochtergesellschaft der Mail.ru-Gruppe bei einem Berufungsgericht eine eigene Klage gegen UCP ein. Bei einem Erfolg wird Durow die Chance auf einen Rückkauf seiner Anteile haben, um die Kontrolle über sein Unternehmen zurückzugewinnen.

Es ist irgendwie seltsam, dass UCP begonnen haben soll, auf Durows andere [unternehmerische] Interessen Druck auszuüben, nur weil er wegen Nawalny mit den Behörden im Klinsch liegt. Vielleicht ist das Ganze eher ein Versuch, “Eigentum als Druckmittel” zu benutzen. Jetzt, nachdem Durow keine Anteile mehr an VKontakte hat, fragt man sich: Kann Durow darauf vertrauen, dass Telegram außerhalb der Reichweite einheimischer Interessenvertreter, wie UCP, ist? Oder hat er sich nur deshalb wegen der Zensur an die Öffentlichkeit gewendet, weil ihn die öffentliche Meinung dabei unterstützen soll, sein intellektuelles Eigentum zu verteidigen? Die Zeit wird es erweisen.

[Pawel Durow tritt ab. Global Voices Bericht auf Englisch]

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