Jemen: Chronik eines Krieges

Air strike in Sana'a, May 5, 2015. Photo by Ibrahem Qasim. CC 2.0.

Luftangriff auf Sanaa am 5. Mai 2015. (Foto: Ibrahem Qasim – CC-BY-SA 2.0).

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Aktuelle Meldungen

Auf Twitter haben wir eine eigene englischsprachige Liste zum Thema Jemen, die hier aufzurufen ist.

Bisherige Ereignisse

Der Konflikt im Jemen begann schon 2004, mit dem Aufstand der Huthi gegen die Regierung. Die meisten Huthis folgen einem Ableger des shiitischen Islam, Zaidismus genannt. Zaiditen bilden ein Drittel der Bevölkerung des Jemen und hatten bis 1962 den Norden Jemens über mehr als tausend Jahren regiert. Die Huthis gaben an, dem Zaidismus zu mehr Anerkennung und Mitsprache verhelfen zu wollen und sich gegen Angriffe der Regierung zu verteidigen, erheben zudem Korruptionsvorwürfe gegen die Regierung Hadis und rechfertigen damit den Putsch und die Machtübernahme Anfang dieses Jahres. Jemens Regierung unter dem ehemaligen Präsidenten Ali Abdullah Saleh sowie unter dem jetzigen Präsidenten Hadi versuchten von 2004 bis 2010 erfolglos den Aufstand mit brutaler Gewalt niederzuschnettern, zudem erheben sie den Vorwurf, der Iran hätte den Huthi-Aufstand finanziert.
2011 eskalierte letztendlich die Situation und resultierte in einer landesweiten Revolution und Jugendbewegung, Saleh musste abdanken und neue Reformen wurden versprochen. Der Golfkooperationsrat übernahm mit Rückendeckung der internationalen Gemeinschaft die Verhandlungen über Neuwahlen und eine neue Konstitution. Ein (englischsprachiges) Dossier berichtet über die Ereignisse der Jahre 2011/12.
Nach jahrelangen Misständen unter dem neuen Präsidenten Hadi, hat die 10.000 Mann starke Huthi-Rebellentruppe aus dem Norden am 21. Januar 2015 mit Gewalt den Präsidentenpalast in der Hauptstadt besetzt und damit effektiv Präsident Hadi vertrieben.

Saudi-Arabien und die Koalition

Die saudi-arabische Koalition verübte ab dem 26. März 2015 Luftangriffe in ganz Jemen gegen die Huthi und ihre Verbündeten mit dem Ziel, die Regierung des Präsidenten Abd-Rabbu Mansour Hadi wiederherzustellen. Hadi wurde zur Flucht ins saudi-arabische Exil gezwungen, als Huthi-Kämpfer im Januar diesen Jahres große Gebiete des Jemen sowie die Hauptstadt Sanaa unter ihre Gewalt brachten.

Ironie? Bericht: Heute Abend bombardieren saudische Jets die saudische Botschaft in Sanaa. (Natürlich nur, nachdem Huthi-Rebellen das Gebäude besetzt haben!)

Saudi-Arabien wird dabei vom Golf-Kooperationsrat unterstützt. Die Mitgliedstaaten der Koalition unter saudischer Führung verschärften sogar ihre Vorgehensweise gegen Kriegsgegner in den eigenen Ländern. Sowohl Kuwait, als auch Bahrain ließen Aktivisten wegen Meinungsäußerungen gegen den Krieg einsperren. Auch der Sudan wechselte die Seiten und wurde von einem iranischen Verbündeten zu einem Mitglied der saudi-arabischen Koalition im Krieg gegen die die Huthi im Jemen.
Doch einige Staaten wehren sich. Unter anderem entschied sich das pakistanische Parlament nach tagelangen Debatten dafür, dass “Pakistan seine Neutralität im Konflikt mit Jemen beibehalten” und nicht der saudischen Koalition beitreten werde.

Und auch unter der Bevölkerung der Mitgliedsstaaten der saudi-arabischen Koalition gibt es Unmut. Ägypter wenden sich an Plattformen sozialer Medien, um ihre Weigerung zu jeglicher Teilnahme am Krieg im Jemen kundzutun. Ihre Stimmen stießen bisher auf taube Ohren.

Währenddessen hielt der Konflikt weiter an, bis am 21. April Saudi-Arabien vernehmen ließ, dass es seine Luftangriffe im Jemen nach “dem Erreichen seiner militärischen Ziele” einstellen würde. Die iranische Zeitung Vatan Emrooz veröffentlichte auf ihrer Titelseite folgende Schlagzeile, “Die Operation ‘Hurricane Certainty’ endet nach 27 Tagen voller Verbrechen und Kindermord ohne auch nur eines ihrer Ziele erreicht zu haben.”

Aber die Hoffnungen auf ein vorzeitiges Kriegsende wurden zerstört, denn die Bombardements hielten an.
Nach wochenlangen Kampfhandlungen kam es knapp vor Mitternacht am Donnerstag, dem 12. Mai 2015, dann doch noch zu einem mehrtägigen und großteils erfolgreichen Waffenstillstand. Hilfsorganisationen konnten während der Waffenruhe Essen, Treibstoff und andere Güter für die Zivilisten einschleusen. Am 17. Mai 2015 setzten saudi-arabische Koalitionstruppen jedoch die Luftangriffe gegen die Hauptstadt Sanaa fort.

Humanitäre Krise

Vor Ort wird berichtet, dass die saudischen Angriffe weit über das Hauptziel der Kampagne – die Huthi-Stammesrebellen – und militärische Angriffsziele hinausgehen. Laut Angaben der Vereinten Nationen sind seit Beginn der Kämpfe bis Ende April mehr als 1.200 Menschen gestorben, 300.000 Jemeniten seien auf der Flucht. Millionen mehr sind jedoch in Not im ärmsten Land der arabischen Welt, wo die Vereinten Nationen bereits vor einem humanitären Desaster warnten.

#Jemen. Im Laufe der letzten sechs Wochen hat die Ärzte ohne Grenzen 1.644 Verwundete behandelt. Einer davon verlor 27 Familienmitglieder in einer Woche.

Nach Angaben der UNICEF sind Kinder mehr gefährdet, an den Folgen von Hunger und schlechter gesundheitlicher Versorgung zu sterben als durch Bomben und Geschosse.

UNICEF berichtet, 30 Prozent der Kämpfer im Jemen sind Kinder, die töten und getötet werden.

Die Bombardements waren in Sanaa und Aden, einer südlichen Hafenstadt und Jemens zweitgrößte Stadt nach Sanaa, besonders intensiv.

Unwirklicher geht es nicht mehr. Der ehemalige, vertriebene Präsident Saleh berichtet persönlich vor seinem zerbombten Haus.

Tausende Jemeniten mussten fliehen, als Saudi-Arabien und deren arabische Koalition begannen, das Land unaufhörlich zu beschießen. Nina A. Aqlan erinnert sich an ihre Flucht aus dem Jemen:

Yemenis are now being stranded, displaced, starved, killed, mentally sabotaged, humiliated, and terrorized. Enduring inhumane conditions, no access to fuel, water, poor to non existent medical services, official warnings that telecom maybe suspended soon due to lack of fuel, not being able to leave and now major airports in the country completely destroyed, not able to even receive money transfers from abroad, no foreign hard currency except for Saudi Riyals, Yemenis stuck abroad not able to return back to Yemen, and not even allowed into any Arab country without a visa.

Die jemenitische Bevölkerung ist mittellos, obdachlos, am Verhungern, wird ermordet, mental sabotiert, gedemütigt und terrorisiert. Sie muss unmenschliche Verhältnisse dulden, hat keinen Zugang zu Treibstoff und Wasser, schlechte bis nicht vorhandene gesundheitliche Versorgung. Es gibt offizielle Warnungen, dass die Telekommunikation bald aufgrund des Treibstoffmangels abgeschaltet wird. Viele von ihnen können das Land nicht verlassen und jetzt sind auch die großen Flughäfen des Landes vollkommen zerstört. Es ist unmöglich, Geldtransfers aus dem Ausland entgegenzunehmen, keine andere Währung als saudische Riyal wird akzeptiert. Jemeniten sitzen im Ausland fest und können nicht nach Hause zurück, ohne Visum dürfen sie nicht einmal in ein anderes arabisches Land.

Tausende Jemeniten befinden sich im Ausland, hilflos und ohne Möglichkeit nach Hause zurückzukehren. Im Land selbst sind weitere 300.000 obdachlos, mit wenig bis gar keiner Unterstützung. Mit dem über den Jemen verhängten Embargo über den Luftraum, die Landrouten und die Seerouten sitzen Jemeniten im Ausland fest.
Zudem wird berichtet, dass dutzende Jemeniten in kleinen Booten den Golf von Aden überqueren, um nach Somalia und Djibouti zu gelangen und um den Kämpfen und Luftangriffen zu entkommen. In dieser Situationen sehen wir die Umkehr eines Jahrhunderte alten Trends, denn früher suchten tausende Somalis Zuflucht im Jemen, um der Gewalt in ihrem Land zu entkommen.
Shahnoza Gadoeva war eine von über hundert tadschikischen Ärzten, die mit ihren Familien im Jemen lebten, als die Bombenangriffe der Saudis und ihrer Verbündeten letztes Monat begannen. Als sie in einer russischsprachigen Facebook-Gruppe einen SOS-Post veröffentlichte, in dem sie um Hilfe bei der Evakuierung bat, konnte sie nicht ahnen, dass dieser Post sich rasend schnell verbreiten würde.

And who will rescue us? We live in Yemen, work as doctors, there are more than 300 of us, 400 if to count children too. Yemen is being bombed by Saudi planes since yesterday night. Our MFA is silent. We are horrified. Russia is not going to send the [Ministry of Emergency Situations] planes yet.

Und wer rettet uns? Wir leben im Jemen, arbeiten hier als Ärzte, wir sind mehr als 300, 400 wenn man die Kinder dazu zählt. Seit gestern Nacht wird der Jemen von saudischen Flugzeugen bombardiert. Unser Außenministerium bleibt stumm. Wir sind entsetzt. Russland plant bis jetzt noch nicht, die Flugzeuge (des Ministeriums für Notfallsituationen) zu schicken.

In vielen jemenitischen Städten wurden Kraftwerke, Festnetzverbindungen und mobile Verbindungen stillgelegt. Das Land ist dazu gezwungen, Öl zu rationieren. Vielerorts bedeutet dies das vollständige Abschalten sämtlicher Elektrizität und Telekommunikation, einschließlich des Internets.

Mein Freund, der Glückspilz, hat Treibstoff für seinen Generator und hat Freunde für eine “Aufladeparty” eingeladen. 50 Stunden ohne Elektrizität und es ist noch nicht vorbei. #Sanaa #Jemen

Reaktionen Online

Hier kann man dem englischsprachigen Twitter-Feed zum Thema Jemen folgen.
Zudem wurden von Twitternutzern Infografiken mit Zahlen und Fakten zu den bisherigen Ereignissen zusammengestellt.
Online, gehen die Meinungen der Blogger auseinander. Man will die Huthis nicht an die Macht kommen lassen, hat aber auch Angst, der Jemen könnte ein weiterer Irak, ein weiteres Syrien oder Libyen werden.

Nur wenige Tage nachdem Saudi-Arabien mit den Luftangriffen begonnen hatte, scheint der größte Internetprovider Jemens, Yemen Net, mehrere größere Nachrichten- und Medienwebseiten geblockt zu haben.

Die Huthi-Rebellen haben im Januar die Kontrolle über die staatlichen Medien an sich gerissen. Diese Aktion wurde schwer von den Vereinten Nationen kritisiert, heißt es in einer englischsprachigen Presseerklärung. Es handelt sich dabei um den ersten dokumentierten Vorfall von flächendeckender Online-Zensur seit die Rebellengruppe den Präsidenten und sein Kabinett im Januar vertrieben hat.
Der lokale Verband der Internet Society (ISOC) für den Jemen postete Aufrufe, sowohl auf ihrer englischsprachigen Facebookseite als auch auf ihrem Twitteraccount. Ihre Follower sollten alle Websites identifizieren, die gesperrt wurden. Bisher scheinen jemenitische Nachrichtenseiten, wie Mareb Press, Yemen Voice, Sahafa Net, Al-Sahwa Net und Yemen Press gesperrt worden zu sein.

Jemen: Die Menschen, Kultur und Geschichte

Der Jemen ist nicht nur Krieg, humanitäre Tragödie und anhaltende wirtschaftliche Probleme. Das Land verfügt über eine reiche Kultur, Kunst- und Literaturszene. In Zeiten von Krieg und Konflikt sind nicht nur Menschenleben besonders bedroht, sondern auch die kulturelle Identität. Doch die Jemeniten lassen sich nicht unterkriegen und zeigen, dass sie jetzt mehr denn je wissen, wer sie sind und wo sie stehen.

Dieses Dossier ist eine Initiative von Manuela Leibetseder und wird von ihr gepflegt und aktualisiert.