Brasilien: Ermordung eines einheimischen Kindes provoziert Reaktionen

Dieser Beitrag ist Teil unseres Dossiers Rechte indigener Bevölkerung [en].

Der Mord an einem achtjährigen Mädchen der indigenen Awa-Gwajá Gemeinschaft, angeblich durch Verbrennen bei lebendigem Leib [pt] durch Holzfäller im Staat Maranhão, Brasilien, hat im Internet Empörung, aber auch Fassungslosigkeit angesichts solcher Brutalität ausgelöst.

Der “Indigenous Missionary Council” (CIMI) [Indigener missionarischer Rat] bestätigte [pt], dass “der Verdacht besteht, ein Angriff habe zwischen September und Oktober auf ein Lager der isolierten Indigenen” des Araribóia-Reservates stattgefunden, und fügte weitere Informationen hinzu:

O corpo foi encontrado carbonizado em outubro do ano passado num acampamento abandonado pelos Awá isolados, a cerca de 20 quilômetros da aldeia Patizal do povo Tenetehara, região localizada no município de Arame (MA). A Fundação Nacional do Índio (Funai) foi informada do episódio em novembro e nenhuma investigação do caso está em curso.

Der verbrannte Körper wurde im Oktober 2011 in einem verlassenen Lager der isolierten Awá, etwa 20km vom Dorf Patizal von den Tenetehara [einer anderen Gruppe], in einer Region des Bezirks Arame (Maranhão) gefunden. Die Nationale Stiftung der Indios (FUNAI) wurde im November über den Vorfall unterrichtet und es wurden keine Nachforschungen zu dem Fall angestellt.

Laut [pt] Rosimeire Diniz, CIMIs Leiterin in Maranhão, “wurde seit Langem auf die Situation hingewiesen. Es ist ein regelmäßiges Ereignis geworden. Die Präsenz der Holzfällergruppen bringt die isolierten Indigenen in Gefahr. Es wurden keine konkreten Maßnahmen ergriffen, diese Bevölkerung zu schützen.” 

“Die Welt muss es erfahren”

Brasilianische Awá-Bevölkerung: 455. Bild von Survival International.

Brasilianische Awá-Bevölkerung: 455. Bild von Survival International.

Der Journalist Eliano Jorge interviewte [pt] einen Guajajara-Indianer, der sagte:

[…] Os madeireiros estavam comprando madeira na mão dos índios (Guajajara) e acharam uma menininha Gwajá. E queimaram a criança. Só de maldade mesmo. Ela é de outra tribo, eles vivem dentro do mato, não têm contato com os brancos, são brabos.

[…] Die Holzfäller kauften Holz von den Indianern (Guajajara) und fanden ein kleines Gwajá-Mädchen. Sie verbrannten das Kind. Einfach aus Bösartigkeit. Sie ist von einem anderen Stamm, sie leben in den Wäldern, haben keinen Kontakt zu Weißen, sind Stinktiere.

Der Journalist Luis Carlos Azenha andererseits rief zur Vorsicht auf [pt]:

Renato Santana [assessor de imprensa do CIMI] negou a existência de alguma foto do corpo carbonizado. Só uma investigação oficial da Funai pode confirmar se de fato existe o corpo carbonizado e se de fato é de uma criança. Além disso, é preciso esperar o testemunho direto de alguém que presenciou o episódio para saber se houve crime e, se houve, para identificar os autores.

Renato Santana [Pressesprecher von CIMI] streitet die Existenz eines Fotos des verbrannten Körpers ab. Nur eine offizielle Untersuchung durch FUNAI kann bestätigen, ob es einen verbrannten Körper gibt und ob es tatsächlich ein Kind ist. Außerdem benötigt man eine Aussage von jemandem, der die Tat bezeugen kann, um zu sehen, ob es ein Verbrechen gab, und wenn ja, um die Täter zu identifizieren.

Der Journalist Niara de Oliveira antwortete darauf [pt] und stellt die Frage nach gemeldeten inoffiziellen Koalitionen von “FUNAI Mitarbeitern in der Region Arame [und] lokalen Landwirten und Holzfällern”:

“não surpreende, portanto, que não haja investigação em curso e que o caso só agora tenha vindo à tona”. Baseada no comportamento do governo federal para apurar o assassinato do cacique guarani em MS e na importância que dão aos povos indígenas quando se trata de beneficiar aliados (empreiteiros, ruralistas, desmatadores, madeireiros, etc) e baseada na importância que a imprensa governista dá aos mesmos povos indígenas, tendo a confiar na apuração do Rogério.

“es ist deshalb nicht überraschend, dass es keine laufende Untersuchung gibt, und dass der Fall erst jetzt ans Licht gekommen ist.” Basierend auf dem Verhalten der Bundesregierung bei der Untersuchung des Mordes an dem Guarani-Häuptling im Staat Mato Grosso do Sul und der Bedeutung, die sie indigenen Völkern geben, wenn es um profitierende Partner (Bauunternehmen, Agrarunternehmen, Holzunternehmen, Holzfäller etc.) geht und basierend auf der Bedeutung, welche die regierungsfreundliche Presse den indigenen Völkern gibt, tendiere ich dazu, mich auf die Nachforschungen von Rogério zu verlassen.

Rogério Tomaz Jr, geboren in Maranhão, war der erste, der von dem Fall in der Blogosphäre berichtet hat. Er postete ironischerweise die verschiedenen Hypothesen, die zu dem Fall aufgetaucht sind, besonders diejenigen, die indigene und soziale Organisationen beschuldigen, zu lügen und eine Geschichte zu erfinden. Er kritisiert das erwartete Schweigen der Medien über den Fall und versichert [pt] mit Abscheu, dass wenn ein Indianer einen Holzfäller oder Farmer geschlagen hätte, es eine Menge Leitartikel dazu gegeben hätte.

Ethnologe Uirá Garcia, der auf der Facebookseite von ISA (Sozio-ökölogischem Institut) zitiert wird, sagt [pt], dass “es Anzeichen dafür gibt, dass ein Guajá-Awa-Kind, welches im indigenen Reservat in Araribóia in Seklusion lebt, von ihrer kleinen Gruppe, die vor Monaten auf Holzfäller getroffen ist, verschwunden ist”:

Os Guajajara que encontraram o corpo comunicaram o ocorrido à Funai, mas nada foi feito. Essa informação já era conhecida por algumas pessoas ligadas aos povos indígenas do MA, a pelo menos 2 meses, porém, pela falta de provas mais concretas, ainda não havia sido divulgada. E agora, me parece que a informação (que pode sim ser verdadeira) “vazou” para a internet.

Die Guajajara [eines der zahlenmäßig größten indigenen Völker Brasiliens], die den Körper fanden, meldeten FUNAI den Fall, aber nichts wurde getan. Diese Information war einigen Menschen, die mit den indigenen Völkern des Staates Maranhão in Verbindung stehen, bereits seit mindestens zwei Monaten bekannt, wurde jedoch aus Mangel an konkreten Beweisen noch nicht öffentlich gemacht. Und jetzt scheint es, dass die Information (welche tatsächlich wahr sein könnte) ins Internet durchgesickert ist.

Die Ärztin Diana Serra hat dazu aufgefordert [pt] als Reaktion auf diese Nachricht zu revoltieren:

Vejam a que ponto está chegando a violência no nosso estado do Maranhão. E o governo nada faz, Os representantes da Justiça nada fazem. Os representantes do povo nada fazem. […] É preciso que o mundo saiba o que acontece no Maranhão. Terra sem lei para os detentores de dinheiro e poder. Alguns, verdadeiros marginais, onde ainda resiste o coronelismo.

Schaut, wie weit die Gewalt in unserem Staat Maranhão geht. Und die Regierung tut nichts, Justizbeamte tuen nichts. Die Volksvertreter tuen nichts. […] Wir müssen der Welt mitteilen, was in Maranhão passiert. Land ohne Gesetz an Besitzer von Geld und Macht. Einige, wahrhaft marginale, haben dem coronelismo [der Herrschaft der vererbbaren Elite] widerstanden.

Verfolgung indigener Völker

Die Awá, der Begriff bedeutet “Mann” oder “Person”, sind laut der Organisation Survival International, “einer von lediglich zwei verbleibenden nomadischen Jäger-Sammler-Stämmen in Brasilien”:

Einige sind unkontaktiert, von einer kleinen Familiengruppe, die auf der Flucht ist und in einem letzten Stück von Maranhãos schnell verschwindendem Regenwald außerhalb legal anerkannter Territorien lebt, bis zu einer Gruppe von etwa 60 Individuen, die im Araribóia-Reservat lebt, in das immer wieder illegale Holzfäller einfallen.

2008, wurde ein siebenjähriges Guajajara-Kind durch einen Schuß von einem Motorradfahrer in der Stadt Arame getötet [pt] und andere indigene Ethnien in der Region wurden Opfer ähnlicher Gewalt und Vergewaltigungen. Die Gewalt gegen die indigene Bevölkerung hat sich in Brasilien ausgebreitet und hat alarmierende Ausmaße angenommen.

Der aktuelle Genozid an den Guarani-Kaiowá im Staat Mato Grosso do Sul hat zunehmende Aufmerksamkeit in alternativen Medien [en] erfahren, besonders in der Blogosphäre, aber es ist immer noch ein verbotenes Thema in den Mainstream-Medien. Die brasilianische Bundesregierung hat auch keine Schritte unternommen diese Verbrechen öffentlich zu machen und vor allen Dingen weitere Opfer zu verhindern.

Andere traditionelle Bevölkerungsgruppen sind auch Opfer [pt] der Gewalt [pt], die größtenteils von der Bundesregierung verübt wird – oder durch ihr Schweigen, welches das Militär benutzt, um Quilombos, die traditionelle schwarze Bervölkerung, einzuschüchtern und sie von ihrem Land zu vertreiben. Der Bau des Belo-Monte-Dammes ist eine weitere ernsthafte Bedrohung [en] für das Überleben einer ganzen indigenen Gemeinschaft in der Amazonasregion.

Eine andere Bedrohung, die auf die indigene und traditionelle Bevölkerung Brasiliens zukommt, ist die mögliche Annahme des neuen Forstgesetzes [en], das von dem kommunistischen Politiker Aldo Rebelo, zusammen mit der ländlichen Führerin Katia Abreu, vorgelegt wurde, und das von Umweltschützern und Aktivisten aus verschiedenen Gebieten infrage gestellt werden.

Awá-Gemeinde von Tiracambu, Carajás, Brasilien © Fiona Watson/Survival

Awá-Gemeinde von Tiracambu, Carajás, Brasilien © Fiona Watson/Survival

Der Journalist Lucão, erinnert sich an den aktuellen Fall, in dem zwei Aktivisten im Staat Para, José Claudio Ribeiro da Silva und Maria do Espirito Santo da Silva “feige von Holzfällern ermordet” wurden, wie von Global Voices im Mai 2011 berichtet [en], als einen, der den Aufstand [pt] über die Verbrechen gegen die Awá zeigt:

Como se não bastasse a brutal agressão que os madereiros promovem constantemente no norte do Brasil contra nossa flora e fauna, -pois derrubando árvores, pássaros e animais são agredidos diretamente-, a coisa agora descambou para a covardia tosca de atrozes bandidos que atrelados à cifras ignoram a vida da floresta e a vida humana.

Als wäre das noch nicht genug, sind die brutalen Angriffe, die Holzfäller andauernd in Nordbrasilien gegen unsere Flora und Fauna verüben – denn durch das Fällen der Bäume werden Vögel und Tiere direkt angegriffen – umgeschlagen in primitive Feigheit von Verbrechen, die Kriminelle und Personen, die Waldleben und menschliches Leben ignorieren, verbunden hat.

Der Journalist Carlos Hermes ist erstaunt und fragt sich [pt], wie lange solche Verbrechen toleriert werden:

[…] imagine quantas atrocidades são comendidas [sic] por esses monstros em meio à disputa por mata virgem a ser desmatada e vendida por eles?O índio é um impecílio [sic] histórico a estes sertanistas fascínoras [sic] que destróem a maior riqueza do Brasil. Vivemos isso há mais de quinhentos anos e o Estado inoperante e conivente assiste como se fora algo banal. Até quando? Será que vai ficar impune?

[…] stellt euch vor , wie viele Verbrechen begangen werden von diesen Monstern inmitten des Kampfes für unberührten Wald, der von ihnen gerodet und verkauft wird? Indianische Geschichte in ein Hindernis für diese Grenzdiebe, die den größten Reichtum Brasiliens zerstören. Wir machen diese Erfahrung seit 500 Jahren und der untätige und hinterhältige Staat sieht zu, als ob er [die Vorfälle] als belanglos duldet. Bis wann? Werden sie damit durchkommen?

Dieser Beitrag ist Teil unseres Dossiers Rechte indigener Bevölkerung [en].

4 Kommentare

  • […] Tomaz Jr veröffentlicht [pt] den Bericht, der von FUNAI (Nationale Stiftung der Indios) über den angeblichen Tod eines achtjährigen Awá-Gwajá-Kindes im Staat Maranhão, Brasilien, erstellt wurde. Laut diesem Bericht war diese Meldung nur das […]

  • Josef Wasensteiner

    […] Os madeireiros estavam comprando madeira na mão dos índios (Guajajara) e acharam uma menininha Gwajá. E queimaram a criança. Só de maldade mesmo. Ela é de outra tribo, eles vivem dentro do mato, não têm contato com os brancos, são brabos.

    […] Die Holzfäller kauften Holz von den Indianern (Guajajara) und fanden ein kleines Gwajá-Mädchen. Sie verbrannten das Kind. Einfach aus Bösartigkeit. Sie ist von einem anderen Stamm, sie leben in den Wäldern, haben keinen Kontakt zu Weißen, sind Stinktiere.

    Bezüglich der Übersetzung dieses Artikels vom Deutschen ins Portugiesische: Das letzte Wort “são brabos” würde man hier bei uns in Maranhão/Brasilien, wo ich seit 21 Jahren lebe und arbeite, nie mit “Stinktiere” übersetzen, sondern mit “sind unzivilisiert”, oder “sind wild”, was nicht unbedingt eine negative Wertung ist.
    Gruss
    Pe. José

    • Josef Wasensteiner

      Liebe Kathrin,
      mein Kommentar bezog sich auf das Wort “brabo”, das in sich einfach hier als “weg von der Zivilisation” gebraucht wird. In bezug auf die Indianer muss sicher noch viel Bewusstseinsarbeit betrieben werden. Sie sind “Aussenseiter” der Gesellschaft, werden um ihr Land betrogen und nicht in ihrer Würde geachtet. Ihre Rechte werden nicht respektiert.
      Wir hatten vor einigen Jahren die Indianer als National-Thema der Kampagne der Geschwisterlichkeit der katholischen Kirche. Hier konnten, wenigstens in der Arbeit der Basisgemeinden bereits viele Vorurteile abgebaut werden. In der Kampagne der Geschwisterlichkeit, die sich mit dem Thema Gesundheit befasst, wird die indianische Weisheit in bezug auf Naturheilmittel gelobt. Aber im Allgemeinen wird der Indianer sicher noch als Aussenseiter exotisch gesehen. In den Massenmedien wird er belächelt. – Aber von “unzivilisiert” oder “wild” zu “Stinktier” ist doch noch mal ein grosser Unterschied meine ich, oder nicht?
      Liebe Grüsse
      Pe. José

  • Hallo Herr Wasensteiner,

    vielen Dank für Ihren Hinweis zur Übersetzung.

    Ist es tatsächlich so, dass die Indianer als “wid” und “unzivilisiert” bezeichnet werden, dass aber keinerlei negative Bedeutung hat? Wie wird das positiv verstanden? Werden die Indianer als “edle Wilde” gesehen, deren Lebenssituation für alle anderen Brasilianer als erstrebenswert gilt?

    Viele Grüße

    Katrin Zinoun

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