Von den Medien bis hin zu Manga: Veränderungen in der japanischen Popkultur nach Fukushima

psycho-pass

Screenshot der Psycho-Pass-Website. Pyscho-Pass ist ein dystopischer Anime, der als Reaktion auf die Katastrophen des 11. März entstand.

After Fukushima Conference

Workshop am 5. Juni an der Universität Leiden. Bild mit Genehmigung von Bryce Wakefield.

Die Universität Leiden in den Niederlanden hält am 5. Juni einen eintägigen Workshop unter dem Titel Safety and Disaster in Japanese Popular Culture after Fukushima [Sicherheit und Katastrophe in der japanischen Popkultur nach Fukushima] ab. Im Rahmen dessen finden auch für die Öffentlichkeit zugängliche Podiumsdiskussionen statt.

Am 11. März 2011 erlebte Japan eine “dreifache Katastrophe”, bestehend aus einem gewaltigen Erdbeben und einem verheerenden Tsunami, die beide zur dritten Krise am Kernkraftwerk in Fukushima führten. Diese Abfolge von Katastrophen wird teilweise auch als “3.11.” bezeichnet.

Global Voices führt ein Interview mit Dr. Bryce Wakefield, einem Dozenten der Universität Leiden, der auf japanische Politik und internationale Beziehungen spezialisiert ist. Wakefield organisiert den Workshop am 5. Juni und hält an diesem Tag Präsentationen zum Thema Manga und Kernkraft nach der Katastrophe von Fukushima.

Nevin Thompson (NT): Welche Bedeutung hat das Ereignis vom 11.3. für Japan? 

Dr. Bryce Wakefield (BW): The earthquake, tsunami and nuclear accident seemed like game changers for Japanese society at the time. There was talk of ambitious projects to rebuild the communities damaged by these disasters, that the disasters might mark a new renaissance for Japan, that they would redefine the U.S.-Japan military alliance, and so on.

There were some immediate political and social effects after the disasters. Before the disaster U.S.-Japan relations had been damaged by a dispute over military basing issues in Okinawa, and bilateral rescue efforts immediately after the disaster changed the discussion in ways that enhanced the image of the alliance.

The Liberal Democratic Party (LDP), which had been in power almost continuously from 1955 until 2009, managed to exploit the disaster to show the weakness and inexperience of the new DPJ government, leading in part to LDP victory in 2012. Emphasis on specific issues—the value of volunteerism and civil disaster preparation, and the place of nuclear power in Japanese society—did become more prominent in national discussion.

However, a lot of the discussion about the disaster eventually became subsumed by existing narratives in Japan. Today Fukushima and disaster recovery are still important topics in the national discourse, but the wide-ranging shift in political and social perspectives that some were predicting did not come to pass as a result of the disaster.

Dr. Bryce Wakefield (BW): Das Erdbeben, der Tsunami und der Reaktorunfall schienen damals die japanische Gesellschaft von Grund auf zu verändern. Man sprach davon, ambitionierte Projekte durchzuführen um die Gemeinden, die von den Katastrophen beschädigt worden waren, wieder aufzubauen. Auf diese Weise sollten die Katastrophen eine neue Renaissance für Japan bezeichnen, sie sollten zu einer Erneuerung der Definition der militärischen Allianz zwischen den USA und Japan führen, und so weiter.

Nach den Katastrophen machten sich einige politische und soziale Auswirkungen sofort bemerkbar. Im Vorfeld der Katastrophen hatten die Beziehungen zwischen den USA und Japan durch eine Auseinandersetzung, die sich auf Militärstützpunkte in Okinawa bezog, Schaden genommen. Beidseitige Rettungsversuche, die sich direkt an die Katastrophe anschlossen, veränderten die Gespräche auf eine Weise, die die Richtung und das Ansehen der Allianz vorantrieb.

Der Liberalen Demokratischen Partei (LDP), welche zwischen 1955 und 2009 beinah ununterbrochen an der Macht war, gelang es, die Katastrophe auszunutzen, um die Schwäche und Unerfahrenheit der neuen DPJ-Regierung aufzudecken. Dies machte einen Teil dessen aus, was im Jahr 2012 zum Sieg der LDP führte. In den national ablaufenden Diskussionen wurde die Betonung spezieller Problematiken bedeutender — der Wert von Freiwilligenarbeit und der Vorbereitung der zivilen Öffentlichkeit auf Katastrophen, sowie die Stellung von Kernenergie in der japanischen Gesellschaft.

Dennoch wurde ein großer Teil der Diskussionen über die Katastrophe schließlich zusammengefasst unter Narrativen, die schon zuvor in Japan existierten. Auch heutzutage machen Fukushima und die Erholung nach der Katastrophe wichtige Themen im nationalen Diskurs aus. Aber es kam in Folge der Katastrophe nicht zu der umfassenden Verschiebung politischer und sozialer Sichtweisen, die manche vorausgesagt hatten.

NT: Wie hat sich die Popkultur durch den Unfall von Fukushima verändert?

BW: It depends what you mean by “popular culture.” As noted just now there was increased emphasis on volunteerism after the disaster. That could be an area of popular culture worth investigation.

One of the definitions of popular culture is that it concerns the practices of everyday life: how, for example, do people interact with the media. At our event, Barbara Holthus of the University of Vienna will be showing how parents concerned for their children’s health in the wake of Fukushima are coordinating their activities and using media, including social media, in new ways.

Similarly, Mire Koikari of the University of Hawaii will be looking at how notions of masculinity are asserted in popular attempts to make Japanese people more aware of the need for civil defense.

Another speaker, Katja Valaskivi of the University of Tampere, has written critically on the government’s attempts to incorporate notions of resilience into its post-Fukushima public diplomacy.

Popular culture is a wide ranging term, and as well as the usual images of anime and manga that people think of when they hear “Japanese popular culture,” we do need to examine popular phenomenon more broadly.

BW: Das hängt davon ab, was Sie unter “Popkultur” verstehen. Wie ich gerade feststellte, kam es nach der Katastrophe zu einer verstärkten Betonung von Freiwilligenarbeit. Das könnte ein Gebiet der Popkultur sein, das es sich zu untersuchen lohnt.

Eine der Definitionen von Popkultur besagt, dass diese sich mit den Praktiken des täglichen Lebens beschäftigt: wie beispielsweise Menschen mit Medien interagieren. Im Rahmen unserer Veranstaltung wird Barbara Holthus von der Universität in Wien zeigen, wie Eltern, die sich als Folge von Fukushima um die Gesundheit ihrer Kinder sorgen, ihren Einsatz koordinieren und Medien, darunter auch soziale Medien, auf neue Arten benutzen.

Auf ähnliche Weise wird Mire Koikari der Universität von Hawaii betrachten, wie Vorstellungen von Männlichkeit eingesetzt werden, um die Aufmerksamkeit der japanische Bevölkerung verstärkt auf die Notwendigkeit von Zivilschutz zu lenken.

Eine weitere Sprecherin, Katja Valaskivi von der Universität Tampere, hat eine kritische Schrift dazu verfasst, wie die Regierung versucht, Vorstellungen von Widerstandsfähigkeit in ihre öffentliche Diplomatie einzugliedern.

Popkultur ist ein umfassender Begriff, und wir müssen, abgesehen von den üblichen Bildern aus Anime und Manga, welche den meisten in den Sinn kommen, wenn sie “japanische Popkultur” hören, Pop-Phänomene weitläufiger betrachten.

NT: Auf welche Weise behandelten Manga und Anime den Reaktorunfall?

BW: Before the nuclear disaster, manga and anime were sometimes deployed in public relations efforts to support the notion that nuclear power was safe.

Although there are some post-Fukushima manga that have been labelled pro-nuclear “propaganda,” there have also been more critical voices. These critical voices, however, fit into major themes of the postwar period in manga and anime. Those themes stress the dark side of scientific progress stress the dark side of scientific progress.

Some darker works are also often pessimistic about power relationships in Japanese society and politics.

Mari Nakamura’s presentation looks at issues of surveillance within the recent anime, Psycho-Pass, for example. In the past couple of years there have also been a number of critical works emerging that evoke distrust in government narratives about nuclear power. Manga and anime have discussed critical themes in the past, and will continue to raise such themes in relation to Fukushima.

However, these are often presented in ways that stay away from difficult or challenging content, such as radiation sickness, out of respect for the survivors.

BW: Vor der Kernkatastrophe wurden Manga und Anime manchmal in der Öffentlichkeitsarbeit dafür eingesetzt, die Sicherheit von Kernkraft zu propagieren.

Obgleich es nach den Vorfällen von Fukushima Manga gab, die als “Propaganda” für die Kernkraft bezeichnet wurden, gab es auch kritischere Stimmen. Diese kritischen Stimmen lassen sich jedoch in die Hauptthemen der Nachkriegszeit in Manga und Anime einordnen. Diese Themen betonen die Schattenseite des wissenschaftichen Fortschritts.

Manche der düstereren Arbeiten betrachten auch die Mächtebeziehungen in der japanischen Gesellschaft und Politik pessimistisch.

Die Präsentation von Mari Nakamura beispielsweise betrachtet das Thema Überwachung in einem zeitgenössischen Anime, Psycho-Pass. Während der letzten Jahre sind auch einige kritische Arbeiten aufgetaucht, die Misstrauen in die Behauptungen, welche die Regierung in Bezug auf die Kernkraft trifft, schüren. Bereits in der Vergangenheit haben Manga und Anime kritische Motive zum Thema gemacht, und sie werden auch in Zukunft mit Bezugnahme auf Fukushima derartige Thematiken aufbringen.

Trotzdem werden diese häufig so präsentiert, dass schwierige oder anspruchsvolle Inhalte, wie die Strahlenkrankheit, aus Respekt vor den Überlebenden ausgespart bleiben.

NT: Die zweite Podiumsdiskussion behandelt “Narrative der Sicherheit”, und ISIS taucht als Thema auf. Wo liegt die Verbindung zur Katastrophe von Fukushima? 

BW: In his presentation, Matthew Penney of Concordia University in Montreal will be talking about the relationship between public discourse and popular culture in Japan in the context of recent discussion about ISIS.

He is focused on the notion of political punditry as a type of popular culture performance, and the notion of pundits as characters that have been cultivated across media platforms.

These characters are seen to be “experts” on a wide range of issues, but because their intellectual net is cast so wide, it is questionable whether they can offer real analysis instead of emotional commentary on a number of these issues.

As such, pundits are often exploited by people with agendas on the extreme left and the right of politics, and this is very evident in the case of discussion about ISIS. So what are the media dynamics involved that make these pundits voices of authority?

As I think Matthew will outline in his talk, there is also an obvious connection there to the Fukushima accident and the punditry that ensued thereafter.

BW: Matthew Penney von der Concordia Universität Montreal wird in seiner Präsentation über das Verhältnis zwischen dem öffentlichen Diskurs und der Popkultur in Japan im Kontext der jüngsten Diskussionen über ISIS sprechen.

Er konzentriert sich dabei auf die Annahme, politische Expertise sei eine Art von Popkultur-Performance, sowie die Auffassung, Fachgelehrte seien Charaktere, die über Medienplattformen hinweg kultiviert worden seien.

Diese Charaktere werden in weitgefächerten Themengebieten für “Experten” gehalten, doch weil ihr intellektuelles Netz so weit aufgespannt ist, bleibt fragwürdig, ob sie zu vielen dieser Themen zu tatsächlichen Analysen fähig sind oder doch nur emotional gefärbte Kommentare abgeben können.

An und für sich werden Fachgelehrte oft von Menschen mit Ansichten, die sich im extremen linken oder rechten Spektrum der Politik bewegen, ausgenutzt. Dies wird im Fall der Diskussionen über ISIS sehr deutlich sichtbar. Was also sind die medialen Dynamiken, durch welche die Meinung dieser Fachgelehrten ein solches Gewicht erhält?

Wie Matthew in seinem Vortrag, so nehme ich an, umreißen wird, existiert auch eine offensichtliche Verbindung zwischen dem Unfall von Fukushima und der daraufhin aufkommenden Expertise.

NT: Können Sie etwas dazu sagen, was die Universität Leiden mit Japan verbindet? 

BW: The Netherlands does, of course, has a significant historical relationship with Japan, with the Dutch holding exclusive rights to trade with Japan during the Edo Period. Today, Leiden is a sister city with Nagasaki, where this trade took place.

Leiden University was the first university outside of Asia to establish a chair of Japan Studies, in 1855. Today, in terms of first year student enrollment numbers, Japan Studies is one of the largest programs in the university’s very strong Faculty of Humanities.

We have been sending our students at Nagasaki University since the 1980's. Every year 10 to 12 top students go there for five months. Every student enrolled in the bachelor’s program has the chance to go to Japan for as part of their degree. It really is a great program.

BW: Die Niederlande haben natürlich eine bedeutende historische Beziehung zu Japan, da die Niederländer während der Edo-Zeit ein exklusives Handelsrecht mit Japan besaßen. Heutzutage ist Leiden eine Schwesterstadt von Nagasaki, wo dieser Handel stattfand.

Die Universität Leiden war die erste außerasiatische Universität, die im Jahr 1855 einen Lehrstuhl für Japanstudien einrichtete. Heutzutage sind die Japanstudien, was die Neueinschreibungen von Erstsemestern angeht, einer der größten Studiengänge in den an der Universität stark vertretenen Geisteswissenschaften.

Seit den 1980er Jahren schicken wir unsere Studenten an die Universität Nagasaki. Jährlich gehen 10-12 der besten Studenten für fünf Monate dorthin. Jeder Student, der im Bachelorstudiengang eingeschrieben ist, hat die Möglichkeit, als Teil seiner Ausbildung nach Japan zu gehen. Es ist wirklich ein großartiger Studiengang.

Der Workshop Safety and Disaster in Japanese Popular Culture after Fukushima findet an der Universität Leiden in den Niederlanden statt. Jeder, der sich für die Teilnahme an diesem halbtägigen Workshop interessiert, kann sich hier anmelden. 

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