Russlands unermüdliche Absurdisten

Monstration 2015 in Novosibirsk. Top left, clockwise: "A Platypus Will Save the World," "We are made from a different kind of dough," "Soon it will be Sunny," "We aren't Monsters," "From Communism to Idiotism," and "Bees Against Honey!" Images from VKontake.

Monstration 2015 in Nowosibirsk. Von oben links im Uhrzeigersinn: “Ein Schnabeltier wird die Welt retten”, “Wir sind aus einem anderen Teig gemacht”, “Bald scheint die Sonne”, “Wir sind keine Monster”, “Vom Kommunismus zum Idiotismus”, “Bienen gegen Honig”. Fotos: VKontake.

Alljährlich am 1. Mai veranstalten tausende Russen in einer Handvoll sibirischer Städte eine öffentliche Feier der Absurditäten. In diesem Jahr waren die Parolen und Kostüme genauso entzückend unverschämt wie immer.

Diese ungewöhnliche Tradition, die Kopfgeburt einer kleinen Gruppe radikaler Künstler hat ihren Ursprung 2004 in Sibiriens Nowosibirsk. Ein Mitglied des Kollektivs, Iwan Dyrkin, prägte den Ausdruck “Monstration”, indem er das “de” aus Demonstration eliminierte. Diese Vorsilbe löst bei ihm nämlich negative Assoziationen aus. Die Einladungen zur ersten Monstration waren vom Zeitgenössischen Kollektiv der Kunstterroristen unterzeichnet. Diese Bezeichnung war vermutlich eine Anleihe bei Max Neroda und seinen Bildern des “Kunstterrorismus”, die er gerne als ungeladener Eindringling in Kunstausstellungen kurzerhand selber aufhing.

Einer der ursprünglichen Organisatoren, Artjom Loskutow, der seitdem als Leitfigur der alljährlichen Nowosibirsker Monstration bekannt ist,  philosophierte in einem Interview mit dem Calvert Journal über die Bedeutung dieser Veranstaltung:

Monstration was an experiment in rethinking the city environment and particularly the May Day demonstrations, which had long lost their original meaning. I’d gone to several May Day demonstrations before and they seemed like a weird ritual. You’re supposed to take part but hardly anybody knows why. It seems like complete nonsense. That’s what we wanted to emphasize. Monstration is both a critique and a concept. We wanted to bring the May Day demonstration back to life but we also wanted to create a cultural event. But as there weren’t that many of us, we didn’t feel as if we could accomplish something on our own so we decided to work with the demonstration, integrating ourselves into it and transforming it from the inside.

Monstration war ein Experiment des neu Denkens eines städtischen Umfelds, insbesondere der Mai-Demonstrationen, die ihre ursprüngliche Bedeutung lange verloren haben. Früher war ich zu einigen Mai-Demonstrationen gegangen und sie kamen mir wie ein sonderbares Ritual vor. Die Teilnahme wird von dir erwartet, aber kaum jemand weiß, warum. Es schien kompletter Unsinn zu sein. Genau das ist es, was wir hervorheben wollten. Monstration ist sowohl eine Kritik als auch ein Konzept. Wir wollen die Mai-Demonstrationen wiederbeleben, aber wir wollen auch ein kulturelles Ereignis bieten. Da wir nicht allzu viele waren, hatten wir nicht gerade das Gefühl, etwas Eigenes auf die Beine stellen zu können. Deshalb entschieden wir, uns einfach in die Demonstration zu integrieren und sie dadurch von innen heraus zu verändern.

Die allererste Monstration in Nowosibirsk zog nicht mehr als einhundert Leute an, aber das Konzept ist seitdem populär geworden und hat sich auf dutzende andere Städte verbreitet. In diesem Jahr nahmen mehrere tausend Russen an Nowosibirsks Marsch der Absurdität teil.

“Monstration 2015: Die Grenzen der Demokratie oder SWAT gegen Kinder” 

Allerdings ist Nowosibirsks Bürgermeister Anatol Lokot, ein Mitglied der Kommunistischen Partei, nicht erschienen, um die seltsame Tradition seiner Stadt gebührend zu würdigen. In Vorbereitung auf den Feiertag des 1. Mai schrieb er auf VKontakte eine Nachricht, um für diesen offiziellen Tag der Arbeitermärsche zu werben. Lokot leitete seinen Text im sowjetmäßigen Stil ein, indem er die Bedeutung der Arbeit beschwor und obendrein Karl Marx zitierte.

Anschließend, am 1. Mai, sind die zur Sprengung der offiziellen Parade ankommenden “Monstranten”, wie berichtet wurde, von der Polizei empfangen worden, die ihnen das Recht auf Teilnahme an der Parade absprach. Die verärgerten Demonstranten marschierten in die entgegengesetzte Richtung und später verhaftete die Polizei den Organisator Artjom Loskutow.

Ich werden von Center E [Der Polizei, deren Aufgabe das Vorgehen gegen Extremisten ist] festgehalten

Loskutow ist kurz darauf zu zehn Tagen Gefängnis und einer kleinen Geldstrafe verurteilt worden. Amnesty International hatte den russischen Künstler zum politischen Gefangenen erklärt und forderte seine unverzügliche Freilassung.

Bei der Monstration des Jahres 2009 vertraute Loskutow darauf verhaftet zu werden, um sein Konzept über Nowosibirsk hinaus berühmt zu machen. Auch das diesjährige Anstürmen der Polizei hat eine Menge Aufmerksamkeit geweckt. Es scheint jedoch, dass künftige Monstrationen gezwungenermaßen die zunehmend restriktiver werdenden Bedingungen für öffentliche Versammlungen beachten müssen, obwohl dieses Ereignis so gut wie nichts mit Politik oder mit der Realität zu tun hat.

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