Anonym sein oder nicht: Wie sollen sich Blogger entscheiden?

Kiba Shihuba supports online anonymity. Photo courtesy of EFF.org.

Kiba Shihuba unterstützt Online Anonymität. Foto von EFF.org.

Co-Autorin dieses Artikels ist Nani Jansen, Leiterin der Rechtsabteilung bei Media Legal Defence Initiative.

Sollte man online anonym sein? Welche Aspekte sollten berücksichtigt werden, wenn man einem Blogger, selbstständigen Journalisten oder Onlineaktivisten zu diesem Thema beraten sollte? Viele von uns sind schon durch diesen Prozess gegangen, aber es ist dennoch ein Thema, über das es keine öffentliche Diskussion gibt, da dieses Thema eher in privaten Räumen behandelt wird.

Es gab bereits viele Debatten über den Einfluss von Regierungen und Unternehmen auf dieses Thema — wenn man nur an Facebook’s Regelung zum Verbot von Pseudonymen oder Nymwars denkt. Außerdem gibt es Zugang zu vielen Informationen, wie man online anonym bleiben kann. Genauso wie Sicherheitstrainings und Ratgeber, wenn auch nur in einigen bestimmten Sprachen.

Aber dem Entscheidungsprozess, ob man nun anonym bleibt oder nicht, wird oft weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Viele legale, politische, technische und persönliche Argumente kommen ins Spiel, die alle oft schwierig zu navigieren sind. Außerdem gibt es keine eindeutige, “richtige” Antwort.

Im Falle der Zone 9 Blogger, die im April 2014 in Äthiopien verhaftet und unter dem Terrorismus-Gesetz angeklagt sind, hatten wir bei diesem Thema einige Probleme. Obwohl die Blogger regelmäßig unter ihrem echten Namen schrieben, haben sie viel über sichere Kommunikationstechnologien gelernt, um den Prozess der Recherche und Berichterstattung anonym halten zu können. Paradoxerweise hat die Regierung genau dieses Verhalten nun gegen sie verwendet – die Nutzung des Tactical Technology Collective's “Security in a Box” Pakets steht mit auf ihrer Anklageliste.

Ein anderes Beispiel ist die Situation der Blogger auf Kuba, wo die physische Überwachung so robust ist, dass Anonymität online oft als unrealistisch angesehen wird. In einem Interview mit Global Voices in 2009 erklärt die kubanische Bloggerin Miriam Celaya:

…here it is more dangerous to remain “anonymous” by trying to hide. In this semi-clandestine state, one is more prone to blackmail. I was aware that the police knew my real face and could guess that I was scared…

…hier ist es viel gefährlicher “anonym” zu bleiben, indem man sich versteckt. In diesem semi-geheimen Staat, ist man viel stärker der Erpressung ausgesetzt. Mir war ganz bewusst, dass die Polizei weiß wie ich aussehe, und dass ich Angst habe…

Ein anderer kubanischer Blogger merkt an, dass es Dinge sogar schwieriger machen könnte. “Wenn man unter einem Pseudonym schreibt, signalisieren wir der staatlichen Polizei, dass [wir] denken etwas Falsches zu tun.”

Es gibt unzählige Fälle und Beispiele, die wir untersuchen könnten, um Online-Autoren und Aktivisten in diesem Entscheidungsprozess zu helfen. Deshalb werden Global Voices und die Media Legal Defence Initiative eine Diskussionsrunde zu diesem Thema auf der Re:Publica in Berlin veranstalten. Unsere Hoffnung ist es, Richtlinien zu diesem Thema zu entwickeln.

Vor der Veranstaltung haben wir uns entschlossen, mit dem GV Advox Team und unseren Lesern über dieses Thema zu diskutieren. Das GV Advox Team war sich schnell einig, dass dieses Thema viel mehr als nur technischer Natur ist. “[Man] muss über Selbstzensur, Ethik, persönliche Sicherheit, und persönliche Grenzen nachdenken…die technische Sicherheit ist eine Sache, eine andere ist deine mentale und emotionale Stabilität”, bemerkte ein Autor.

“Anonymes Bloggen ist eine Kunst”, sagte ein Autor, der im Laufe der Zeit schon viele Identitäten online eingenommen hat; auf semi-privaten Plattformen wie Facebook teilt er einige persönliche Informationen, aber die Identität als Blogger hält er komplett von dieser Seite und anderen Accounts auf sozialen Netzwerken fern. Für viele kann dies ein emotionales Hindernis sein, besonders wenn sich politische oder persönliche Umstände ändern.

Eine Autorin spricht die Isolation in der Anonymität an. “Anonymität isoliert”, schreibt sie. “Kann man ein Netzwerk haben, dass dich beschützt und zugleich anonym sein? Würde Sichtbarkeit vielleicht eine bessere Strategie für dich sein?”

Ein Sicherheitsexperte in der Gruppe wies auf die Unterscheidung zwischen “Identitäts- Anonymität” und “Lokaler Anonymität” hin. Er erklärt das Konzept “lokale Anonymität”  mit einem Beispiel aus Bahrain:

We know that in Bahrain the authorities very commonly crack down on dissidents and journalists by luring them into clicking on links generally sent to them through social media (tweets or facebook messages for example)….they normally just see a news article (often from a legitimate website) being opened, [but] in the background, the link [obtains and records] the IP address of the victim and then redirects him/her to the legitimate news article.

The authorities [use] this method to obtain the [victim's] IP address…and through their control of state Internet and mobile providers verify the real identity of the user (in case he/she is using a fake name or an alias online) as well as his/her physical location. As you can imagine, this is then how raids and arrests follow.

In this situation for example, using an instrument like Tor would have prevented the authorities from obtaining the originating IP address. We all know the inherent risk of getting singled out by using Tor within an oppressing state. As it is now in Bahrain, I would consider not using Tor a worse choice, but I think this is a great example of the problem we're trying to address.

Aus Bahrain wissen wir, dass die Behörden viele Dissidenten und Journalisten reinlegen, indem man sie dazu verlockt, auf bestimmte Links zu klicken, die sie oft zum Beispiel über soziale Medien erhalten (Tweets oder Facebook Nachrichten zum Beispiel)….normal sehen sie nur einen Nachrichtenartikel (oft von einer seriösen Webseite), der geöffnet wird, [aber] im Hintergrund greift der Link auf die IP-Adresse des Opfers zu und leitet diese danach zu dem eigentlichen Nachrichtenartikel weiter.

Die Behörden [nutzen] diese Methode, um an die IP Adresse [des Opfers] zu gelangen…und durch ihre Kontrolle des Staatsinternets und der Mobilfunkanbieter können sie die wirkliche Identität des Nutzers herrausfinden (für den Fall, dass er/sie einen falschen Namen online verwendet) genauso wie seinen/ihren geografischen Standort. Wie man sich vorstellen kann, können so Strafen und Inhaftierungen folgen.

Wenn man in dieser Situation zum Beispiel ein Instrument wie Tor benutzt, hätte es die Behörden daran gehindert, an die original IP-Adresse zu gelangen. Wir wissen alle über das Risiko, durch die Nutzung von Tor in einem unterdrückenden Staat erkannt zu werden. Im Bahrain, denke ich, ist die Nicht-Nutzung von Tor die schlechtere Wahl, aber ich glaube es ist ein gutes Beispiel für das Problem, das wir versuchen zu beschreiben.

Nun wollen wir unseren Lesern die gleiche Frage stellen: Welche Fragen sollten sich Personen stellen, bevor sie diese Entscheidung treffen? Welche Geschichten und Erfahrungen könnten zu der Diskussion beitragen und könnten Bloggern und Aktivisten helfen, diese Entscheidung zu treffen? Teile deine Gedanken und Anmerkungen zu diesem Thema hier, auf Twitter (Tweet @Advox) oder sende eine Nachricht über unser Kontaktformular.

Nani Jansen und Ellery Roberts Biddle werden einen Workshop zu diesem Thema auf der Re:Publica in Berlin, am 5. Mai 2015 von 16-17 Uhr leiten. Schau doch vorbei, wenn du da bist, oder schaue hier für die Berichterstattung nach der Veranstaltung!

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