Drei Jahre nach dem Arabischen Frühling kämpfen tunesische und ägyptische Musiker noch immer gegen die Zensur

Lebanese rapper El Rass captured in a screenshot while performing at the TeMA Rebelle Festival  in February 2014, uploaded by YouTube user  campurr15

Der libanesische Rapper El Rass, aufgenommen in einem Screenshot bei seinem Auftritt beim TeMA Rebelle Festival im Februar 2014, hochgeladen von Youtube-Nutzer campurr15

Während sich in einigen arabischen Ländern politisch etwas geändert hat – Präsident Ben Ali wurde nach 24 Jahren an der Macht seines Amtes enthoben, Husni Mubarak wurde abgesetzt, nachdem er 30 Jahre lang Ägypten beherrscht hatte – herrschen doch vielerorts noch immer kulturelle und politische Einschränkungen statt künstlerischer Freiheit.

2012 zensierten ägyptische Behörden ein Lied aus einem großen Blockbuster-Film. Die Musikrichtung war “Electro Chaabi” – eine neue Welle von Electronica, die aus den armen Vororten und Slums von Kairo kommt.

Der tunesische Rapper Weld El 15 wurde seit dem Arabischen Frühling zwei Mal festgenommen. 2013 kam ein weiterer Rapper, Klay BBJ, in Tunesien für sechs Monate ins Gefängnis, weil er “in seinen Liedern die Autoritäten beleidigt” hätte.

2014 initiierte die französisch-tunesische Journalistin Hind Meddeb das TeMa Rebelle Festival, um junge Musiker mit sozialem Bewusstsein aus der arabischen Welt – wie die Electro Chaabi-Musiker aus Kairo, Weld El 15 und Klay BBJ – mit ihren europäischen Kollegen zusammenzubringen, damit sie sich treffen und miteinander arbeiten können.

Die 36-Jährige Journalistin ist eine anerkannte Spezialistin für zeitgenössische, urbane arabische Musik. Sie ist auch selbst eine Veteranin der arabischen Untergrund-Musikszene. Seit des Arabischen Frühlings oder der Arabischen Revolution 2011, als zehntausende junge Araber durch Tunesien, Ägypten und andere Länder der Region marschierten, um mehr Rechte zu fordern und Diktaturen zu stürzen, gewann Hind Meddebs Arbeit als Filmemacherin an Bedeutung, weil sie sich schwierigen Fragen widmete und marginalisierten Stimmen Gehör verschaffte.

J’en ai ras le bol que les médias occidentaux ne nous présentent le monde arabe qu’avec des femmes en Niqqab, des types qui se font sauter et des salafistes à barbe. Je montre cette jeunesse comme elle vit.

Ich habe genug von den westlichen Medien, die Araber immer mit Niqab [Gesichtsschleier] oder als bärtige Terroristen darstellt. Ich möchte diese Jugend so zeigen, wie sie ist, mit Liedern wie “I've Always Lived in Sin” [ägyptischer Elektro Chaabi-Song], die das Leben derer erzählen, die nicht während Ramadan fasten oder nach Mekka pilgern.

Unter dem Slogan “Von Punk bis Rap – Unabhängigkeit und Redefreiheit” präsentierte das Festival am 21. Februar 2014 im FGO Barbara Cultural Centre in Paris tunesische und ägytische Musiker, die mit ihrer Arbeit die Grenzen der Redefreiheit herausfordern.

TeMA Rebelle festival poster

Poster des TeMA Rebelle Festivals

Missy Ness, die erste weibliche tunesische DJ, trat bei dem Festival mit neun weiteren Künstlern, auch Weld El 15 und Klay BBJ, auf. Ihre Auftritte wurden durch Dokumentarfilme ergänzt wie “Pussy Riots” und “Electro Chaabi” sowie Panels, bei denen Themen wie “Rap und Revolutionen” oder “Die Geschichte des Punk anhand der Geschichte eines Punks” diskutiert wurden, ergänzt. Hind hatte die Idee zu dem Festival, nachdem sie Weld El 15 kennengelernt hatte, als sie über seine Festnahme und den Prozess wegen seines Songs Boulicia Kleb (Polizisten sind Hunde) berichtete.

2012 wurde Weld El 15 von der Ploizei geschlagen und für neun Monate eingesperrt, angeblich, weil er Cannabis geraucht hatte. 2013 schrieb er das Lied “Boulicia Kleb”, das ihm eine zweijährige Gefängnisstrafe einbrachte. Dank weltweiter Medienkampagnen wurde er im Dezember 2013 entlassen.

2012 wurde Weld El 15 von der Polizei geschlagen und für neun Monate eingesperrt, angeblich, weil er Cannabis geraucht hatte. 2013 schrieb er das Lied “Boulicia Kleb”, das ihm eine zweijährige Gefängnisstrafe einbrachte. Dank weltweiter Medienkampagnen wurde er im Dezember 2013 entlassen.

Hind Meddeb nahm sich die Sache zu Herzen. Sie nahm am Prozess teil und als das Urteil gesprochen wurde rief sie: “Scheißland! Jetzt verstehe ich erst recht, was Weld in seinem Lied meinte.” Das gefiel den tunesischen Behörden nicht und Hind wurde von Polizisten aus dem Gericht geworfen.

Bevor das TeMA Rebelle Festival begann, am 17. Februar 2014, interviewte ich backstage Künstler, die herumsaßen und auf französisch über die aktuelle Situation diskutierten. Freie Meinugsäußerung von Künstlern war als der Hauptindikator für Fortschritt seit dem Arabischen Frühling im Mittleren Osten angepriesen worden. Als das Thema aufkam, leuchteten die müden, aber immer noch trotzigen Augen des tunesischen Rappers Don Emino auf. Mit einem zynischen Lächeln sagte er:

What revolution? They killed the revolution. Weld took two years for his song. It's the same old thing as during Ben Ali’s dictatorship.

Welche Revolution? Sie haben die Revolution getötet. Weld hat für seinen Song zwei Jahre bekommen. Es ist die gleiche alte Leier, wie während Ben Ali's Diktatur.

Das Gespräch wurde lebhaft. Es wechselte zur Politik und es wechselte vom Französischen ins Arabische.

Weld 15 bemerkte:

Le sujet favori des Tunisiens, c’est désormais la politique : c’est déjà un gain important en terme de liberté d’expression.

Das beliebteste Thema unter Tunesiern ist jetzt Politik: Das allein ist ein Riesenerfolg in Bezug auf die Meinungsfreiheit.

Electro Chaabi – Electronica von den Rändern

Die Terroranschläge in Casablanca 2003 waren ein Schock für Hind. Sie fuhr nach Marokko und drehte ihren ersten Film – “De Casa au Paradis” (Von Casa ins Paradies) -, der die Geschichte eines der Selbstmordattentäter erzählte. Dann ging sie für eine Weile in den Libanon und arbeitete zu dem Thema, wie politische Parteien Musik als Propaganda benutzen. Zuletzt war sie in Tunesien und Ägypten, wo sie gerade einen Dokumentarfilm über die Musikrichtung Electro Chaabi fertiggestellt hat. Hier der Trailer zum Film:

Hind Meddeb entdeckte diese Musik 2011, ein paar Monate nach der Ägyptischen Revolution. Einer ihrer ägyptischen Freunde stellte sie einem Electro Chaabi Keyboard-Virtuosen namens Islam “Chipsy” vor. Er weckte ihr Interesse und sie begann, weitere Beteiligte aus den weniger privilegierten Stadtteilen von Kairo zu treffen. Sie sprach mit Künstlern und Zuhörern, die aufgrund ihrer niedrigen sozialen Stellung normalerweise nicht in den Medien auftauchen.

Hind überraschten der gelöste Ton und die Vielfalt der angesprochenen Themen. Die Musik behandelt Tabus wie Trinken von Alkohol, was im Islam verboten ist, und enthält politische und soziale Kommentare mit mutigen Haltungen, die zu dieser Zeit von wenigen anderen Künstlern ausgesprochen wurden.

Der Dokumentarfilm half, die Electro Chaabi-Musiker einem größeren Publikum bekannt zu machen. Doch mit der größeren Sichtbarkeit, wurde Electro Chaabi auch angreifbarer für Zensur. In dem ägyptischen Blockbuster-Film “Abdo Mota” von 2012 kam ein Electro Chaabi-Musikvideo vor. Der Film schaffte es durch die Zensur. Doch einige Talkshow-Moderatoren machten darauf aufmerksam, dass in einer Zeile des Lieds muslimische Heilige erwähnt werden und dass es unangebracht ist, ihre Namen zu erwähnen, während Bauchtänzerinnen lasziv tanzen. Die Produzenten und die Musiker mussten diese Zeile ersetzen und eine bearbeitete Version machen. Hier das Youtubevideo des Lieds:

Neuland für Frauen

Missy Ness teilt die Interessen und die Neugier von Hind. Die DJ-Pionierin mischt geschickt verschiedene Musikstile. Als sie 2006 anfing, sich in die tunesische Underground-Musikszene zu mischen, entdeckte sie bald tunesischen Hip-Hop. Seitdem arbeitet sie viel mit tunesischen Rappern zusammen und promotet sie außerhalb von Tunesien. Sie schrieb Geschichte als die erste weibliche DJ in einer Region, einem Land und einer Branche, die nicht dafür bekannt sind, gleichberechtigte weibliche Präsenz zu fördern.

Bei dem Festival in Paris sprach Missy Ness offen über die derzeitige Lage der Redefreiheit in Tunesien:

On est passé de la dictature mafieuse à la dictature un peu religieuse. Le curseur va bien finir par trouver un juste milieu un jour ou l’autre. Le fait qu’il y ait une répression sauvage et une saga judiciaire sur Alaa Weld El 15 nous a vraiment montré où est la limite de la liberté d’expression. C’est là qu’on doit taper.

Wir haben uns von einer Mafia-artigen Diktatur zu einer religiösen entwickelt. Wir werden den richtigen Weg irgendwo zwischen diesen beiden Extremen finden. Die Tatsache, dass Weld El 15 für sein Lied festgenommen wurde, hat uns die aktuellen Limits und Tabus in Tunesien aufgezeigt. Die Polizei [zu erwähnen] ist eines davon. Aber auf der anderen Seite hat es uns ein Ziel vorgegeben: Wir wissen jetzt, worauf wir abzielen müssen.

Die Tabus und die damit verbundenen Ziele sind tatsächlich etwas klarer geworden: Religiöse Meinungsfreiheit und unbestrafte Polizeigewalt gehören dazu.

Währenddessen überschreiten Künstler weiter Grenzen und decken die blinden Flecken im kulturellen Diskurs auf. Während Ben Alis Diktatur hätte niemand etwas von einem festgenommenen Rapper erfahren. Welds Lied aber ging weiter und schneller als der politische Prozess: Er zeigte die Grenzen auf und hat damit einen größeren Raum für die freie Meinungsäußerung geschaffen.

Dieser Artikel wurde von Freemuse autorisiert, dem weltweit führenden Verteidiger von Musikern und Global Voices für Artsfreedom.org. Der Artikel darf von nicht-kommerziellen Medien publiziert werden, unter Angabe des Autors Victor Salama, Freemuse und Global Voices und mit Verlinkung zur Quelle.

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