363 geschlossene Särge entfachen die Debatte über illegale Einwanderer in Europa

Coffins containing the remains of the drowned before their burial in various Italian cemeteries. Photo published on Twitter by Aleem Maqbool

Die Särge mit den Leichen der vor Lampedusa Ertrunkenen vor der Beerdigung auf verschiedenen italienischen Friedhöfen. Foto veröffentlicht auf Twitter von Aleem Maqbool

Ein Boot mit fast 500 Immigranten, darunter viele Frauen und Kinder, fing am 3. Oktober 2013 Feuer und sank [es] vor der Küste von Lampedusa. 363 Menschen starben.

Lampedusa ist eine kleine italienische Insel zwischen Sizilien und Nordafrika, etwas mehr als 100 km von Tunesien entfernt. Aufgrund seiner Nähe zur afrikanischen Küste wird diese Insel von Flüchtlingen und  Migranten ohne Papiere als einer der Eintrittspforten für die Europäische Union benutzt. Menschen aus dem Sudan, Somalia, Eritrea oder Syrien, die in die Fänge von Menschenhändlern geraten, werden mit alten Fischerbooten an die Küsten Europas gebracht.

Die Anzahl solcher gefährlicher Reisen in alten und überfüllten Booten steigt Ende des Sommers gewöhnlich an, da die Überfahrten während der “Winterpause” aufgrund der schlechten Bedingungen auf See ausgesetzt werden.

Dank der Hilfe von Fischern konnten viele Schiffbrüchige in diesem Gebiet gerettet werden, zahlreiche Zeugen gaben jedoch an, dass mindestens drei Boote den Ort der Tragödie passierten, ohne anzuhalten und den Opfern zu helfen [es].

Dieses Verhalten der Fischer begründet sich in ihrer Angst vor dem strengen  Bossi-Fini-Gesetz gegen illegale Einwanderung, das von den Ultrarechten unterstützt und 2002 unter Berlusconi erlassen wurde. Darin werden illegale Immigranten und alle, die diesen in irgendeiner Form Hilfe leisten, kriminalisiert.

Im blog Kaos en la Red [es] heißt es:

El otro horror de la ley Bossi-Fini reside en la condena por complicidad con el delito de clandestinidad a las personas que ayuden a un supuesto clandestino a poner el pie en “la tierra de Italia”. Así, los pescadores de Lampedusa que ayuden a una persona que esté ahogándose pueden ver su barco, su instrumento de trabajo, confiscado y ser condenados. Lo cual va completamente en contra de la Convención de las Naciones Unidas sobre los refugiados y del derecho internacional de navegación. Así, Giorgio Bisagna, experto en derecho a la inmigración, abogado en Palermo, afirma: “En el caso del naufragio de Lampedusa, el delito podría haber sido cometido por quienes no han intervenido para auxiliar a refugiados que se encuentran en la mar”.

Die andere Abscheulichkeit des Bossi-Fini-Gesetzes besteht in der Verurteilung von Personen, die einem möglichen illegalen Einwanderer Hilfe leisten, “italienischen Boden” zu betreten, als Mittäter bei illegaler Einwanderung. Unter diesen Umständen laufen Fischer in Lampedusa, die einem Ertrinkenden helfen, Gefahr, dass ihr Boot, d. h. ihre Arbeitsgrundlage, konfisziert wird und sie zu einer Gefängnisstrafe verurteilt werden. Dies steht in krassem Widerspruch zur UN-Flüchtlingskonvention und internationalem Seerecht. Giorgio Bisagna, Experte für Einwanderungsrecht und Rechtsanwalt in Palermo, stellt demnach fest: “Im Fall der Schiffbrüchigen vor Lampedusa, könnten diejenigen ein Verbrechen begangen haben, die den Flüchtligen im Meer keine Hilfe geleistet haben.”

Map of African immigration routes to Europe. Image from Wikimedia Commons uploaded by the user historicair. With licence CC BY-SA 3.0

Karten mit den afrikanischen Routen für die Einwanderung nach Europa. Bild von Wikimedia Commons, hochgeladen durch den Nutzer historicair. Lizenz CC BY-SA 3.0

Der Fall Spanien

Eine weitere von afrikanischen Immigranten genutzte Eintrittspforte nach Europa ist Spanien. Die Staße von Gibraltar, mit einer Breite von 14 km, ist eine der bevorzugten Routen, die die Menschenhändler-Mafia für den Transport von Einwanderern in sogenannten Pateras [es] nutzen. Es sind kleine Boote oder aufblasbare Dingis, die für die Überquerung solch gefährlicher Gewässer viel zu leicht sind. Nicht selten erleiden sie Schiffbruch und die Einwanderer müssen von Fischern oder der Küstenwachen aus diesen Gebieten gerettet werden.

Wie die Webseite cuartopoder.es [es] berichtet, könnte sich dies jedoch bald ändern:

Según la reforma del Código Penal que el ministro de Justicia, Alberto Ruiz Gallardón, tiene en cartera quienes faciliten la entrada, acojan, ayuden o alojen a inmigrantes indocumentados incurrirán en delito punible y podrán ser castigados con dos años de cárcel. Algunos colectivos de ayuda a los inmigrantes se movilizaron en abril pasado y han recogido más de 100.000 firmas con la campaña “salvemos la hospitalidad”.

Entsprechend einer von Justizminister Alberto Ruiz Gallardón geplanten Reform des Strafgesetzbuches, begeht ein strafwürdiges Verbrechen, wer Einwanderern ohne gültige Papiere zum Eintritt verhilft, sie aufnimmt, unterstützt und Unterkunft gewährt, und kann mit bis zu zwei Jahren Gefängnis bestraft werden. Einige Hilforganisationen für Migranten haben im April mobil gemacht und über 100.000 Unterschriften im Rahmen ihrer “Wir retten die Gastfreundschaft”-Kampagne [es] gesammelt.

Mangelnder Wille auf Seiten der europäischen Behörden

Neben der Straße von Gibraltar werden auch die Kanarischen Inseln sowie die spanischen Enklaven Ceuta und Melilla an der Nordküste Afrikas von Immigranten für den Eintritt nach Spanien genutzt.

Die Europäische Union (EU) verlegt die Rettung von illegalen Immigranten in die Hände der Mitgliedsstaaten, in deren Gewässer sie in Seenot geraten sind. Finanzielle Hilfe für die am meisten von diesem Problem betroffenen Ländern gibt es nicht. Die Mittelmeerstaaten, die unter der Wirtschaftskrise stärker leiden als die Länder im Norden, bitten Europa seit Jahren erfolglos um Hilfe.

Der Aufstieg der ultrarechten Parteien [en] mit ihrer ausgesprochen xenophoben Ideologie, die sich für die Stärkung der Festung Europa gegen illegale Einwanderer einsetzen, veranlasst die europäischen Regierungen in diesem Zusammenhang zu einer härteren Position, um dem populistischen Diskurs der Ultrarechten entgegenzuwirken.

Am 8. Oktober trafen sich 28 europäische Innenminister in Luxemburg, um nach Lösungen für das Problem der Rettung von Einwanderern an der Mittelmeerküste der EU zu suchen. Wieder einmal geriet das Treffen zu einem Desaster wie in El País [es] zu lesen ist:

Toda la reprobación y la vergüenza que han expresado los políticos europeos tras la tragedia de Lampedusa han quedado, de momento, en una mera declaración de intenciones. La Unión Europea se mostró ayer incapaz de concretar un proyecto para rescatar a inmigrantes que naufraguen en las costas del Mediterráneo. La Comisión Europea trasladó su propuesta a los Estados miembros, pero ninguno fue capaz de ofrecer ni calendarios concretos ni dotación económica para intentar paliar el drama de quienes se lanzan al mar para llegar a Europa. 

All die von eurpäischen Politikern nach der Tragödie von Lampedusa [es] zum Ausdruck gebrachte Verurteilung und Scham, mündete bis zum jetzigen Zeitpunkt in einer reinen Absichtserklärung. Die Europäische Union erwies sich gestern als unfähig, ein Projekt zur Rettung von an der Mittelmeerküste in Seenot geratenen Immigranten in die Wege zu leiten. Die Europäische Kommission übergab ihren Vorschlag an die Mitgliedsstaaten, von denen jedoch keiner in der Lage war, ein konkretes Zeitfenster festzulegen oder wirtschaftliche Ressourcen bereitzustellen, um das Leid der Menschen, die in Richtung Europa in See stechen, zu lindern.

Nacho Torreblanca fasst auf Twitter folgendermaßen zusammen:

Lampedusa ist keine Tragödie. Es ist die Folge einer Reihe freiwillig getroffener politischer Entscheidungen http://t.co/YJGRe13257

— Nacho Torreblanca (@jitorreblanca) 11. Oktober 2013

Tombs of unidentified immigrants in Tarifa's cemetery (Spain). Screen capture from a video by canalsuresposible on YouTube

Gräber nicht identifizierter Immigranten auf dem Friedhof von Tarifa (Spanien). Screenshot aus einem Video von canalsuresposible auf YouTube

Manuel Zaguirre erklärt auf der Website Rebanadas de realidad [Scheiben der Realität] [es]:

El Papa Francisco, cuyas declaraciones, decisiones, tomas de postura y testimonio de vida me merecen cada vez más interés, visitó en el mes de Julio la isla de Lampedusa. Pudimos conocer entonces que tiene apenas 5000 habitantes y que han sido casi el doble los inmigrantes que han muerto a orilla de su “mare nostrum” en los últimos 15 ó 20 años. Conocimos, también, de la solidaridad de sus habitantes y de la combatividad de sus autoridades locales, con la Alcaldesa al frente, denunciando la falta de apoyos e interés ante el desborde y la tragedia de los inmigrantes.

Papst Franziskus, dessen Erklärungen, Entscheidungen, Stellungnahmen und Bekundungen ich mit wachsendem Interesse verfolge, besuchte die Insel Lampedusa im Juli. Wir erfuhren in diesem Zusammenhang, dass die Insel nur 5000 Einwohner hat und etwa doppelt so viele Einwanderer an den Küsten ihres “Mare Nostrum” in den letzten 15 bis 20 Jahren gestorben sind. Auch fiel uns die Solidarität unter den Einwohnern der Insel auf und der Kampfgeist der örtlichen Behörden, allen voran der Bürgermeisterin, die mangelnde Unterstützung und Interesse angesichts der Flut von Immigranten und immer wiederkehrenden Tragödien anprangert.

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