Kirgisistan: Jungen Frauen wird verboten das Land zu verlassen

Eine kirgisische Parlamentarierin hat einen Dekretsentwurf eingebracht, der es jungen Frauen unter 23 unmöglich machen würde ohne elterliche Einwilligung das Land zu verlassen. Yrgal Kadyralieva nennt dieses Dekret, das sie im Parlament durchsetzen will ‘Sapargul’, nach einer jungen Migrantin, die in Russland einem unerhörten ‘patriotischen’ Angriff durch männliche Landsleute ausgesetzt war. Global Voices berichtete über diese Vorfälle detailliert im Juni letzten Jahres.

Das Dekret will verhindern, dass junge Frauen, die im Ausland arbeiten, ‘Sexsklavinnen’ werden und wird inzwisch scharf kritisiert. Menschenrechtsgruppen sehen in dem Dekret das verfassungsmäßige Recht auf Freizügigkeit verletzt.

Die “Bishkek Feminists Initiative” stellt auf Plakaten wie diesem das Dekret der Parlamentarierin Kadyralieva (rechts) als Bevormundung und Einschränkung dar. Der Bildtext sagt: “Hey, wo willst du hin?”

“Junge Frauen vor einer unsicheren Zukunft bewahren”

Am 4. März veröffentlichte [ru] die lokale Nachrichtenseite kloop.kg ein interessantes Interview, in dem die Parlamentarierin die Initiative erklärt. Das Interview war im letzten Monat einer der am häufigsten gelesenen Artikel der Nachrichtenseite und führte dazu, dass sich Bürger in Videodebatten [ru] mit dem Thema auseinandersetzten. Einer der Gründe, weshalb das Interview soviel beachtet wurde, war der offene Dialog zwischen Kadyralieva und Zarema Sultanbekova, einer jungen Journalistin, die zu der Bevölkerungsgruppe gehören würde, die das umstrittene Dekret schützen will. An einigen Stellen im Interview scheint Kadyralievas Leidenschaft und Motivation unkontrolliert aus ihr herauszusprudeln [ru]:

Я горю! Мне стыдно за этих девушек.

Зарема, мы хотим или нет — мы рожаем нацию! Богатырей или депутатов! Мужчины не рожают!

Ich schäume vor Wut! Ich bin beschämt.

Zarema, wir sind diejenigen, die diese Nation gebären – ob wir wollen oder nicht! [Wir gebären] Helden und Parlamentarier. Männer tun das nicht!

Kadyralieva gab auch zu, wie schwer es für sie als junge Frau gewesen war, die Initiative zu entwerfen. Die Erstellerin der Gesetzesvorlage ist selbst nur acht Jahre älter als die jungen Frauen, denen das Verlassen des Landes durch das Dekret verboten würde. Sie arbeitet in einem männerdominierten Parlament, in dem Aksakals (die Alten) ihr unaufhörlich sagen sie solle ‘den Mund halten’ und in dem die Parteioberen ihr unterstellen, sie bringe die Initiative lediglich ein, um sich zu profilieren.

Eine Kloop-Leserin, Aizhan Rahmanova, lobte [ru] Kadyralievas für ihren Mut, auf die Lebenswirklichkeit junger Migrantinnen in Russland aufmerksam machen zu wollen:

я полностью согласна с ней,потому что сама живу за границей и вижу что твориться с девушками.Она женщина мужественная,и спасает девушек от непонятного будущего.

Ich bin absolut ihrer [Kadyralievas] Meinung, ich lebe selbst im Ausland und sehe was mit den Mädchen geschieht. Sie ist eine mutige Frau und sie bewahrt Mädchen vor einer unsicheren Zukunft.

Andererseits schienen einige der Leser, die die Initiative unterstützen, derselben populistischen, in Ehrgefühl und Nationalstolz begründeten Argumentation anzuhängen, wie sie auch von jenen Patrioten verwendet wurde, die Sapargul brutal angegriffen hatten und die damit ihre Übergriffe auf junge kirgisische Frauen rechtfertigten, die sich in russischen Städten prostituiert haben sollen. So schreibt [ru] beispielsweise Ulanbek:

Абсолютно Правильный Законопроект надо принять!!!Прочитал некоторые высказывания «Дермократов,АДВОКАТОВ» которым кажется что нарушаются гендерные права женщин,и хочу предложить задать себе вопрос «ТЫ согласен чтобы твою дочь,сестренку [воспринимали] как проститутку???»!!!!

«ДЕВУШКИ» у которых «НАРУШАЮТСЯ» права,извините что выражаюсь грубо в праздник,»ТЫ можешь заниматься проституцией сколько Тебе угодно и за сколько Тебе угодно бери хоть по рублю с клиента» НО ТОЛЬКО ПРИМИ ГРАЖДАНСТВО ДРУГОЙ СТРАНЫ НЕ ПОРОЧЬ МОЮ СТРАНУ КЫРГЫЗСТАН!!!

Dieser Gesetzesentwurf ist absolut richtig und er sollte angenommen werden! Ich habe einige der Kommentare dieser ‘Anwälte der Demokratie’ gelesen, die meinen [Frauen-] Rechte würden verletzt [falls das Gesetz angenommen würde] und ich möchte sie fragen: “Würdest du wollen, dass deine Tochter oder Schwester als Prostituierte behandelt wird?”

An die jungen Frauen, deren Rechte hier ‘verletzt’ würden – entschuldigt, wenn ich das [am Weltfrauentag] so direkt sage: Ihr könnt euch prostituieren soviel ihr mögt und von euren Kunden soviel verlangen, wie ihr wollt – ABER BEANTRAGT DIE STAATSBÜRGERSCHAFT EINES ANDEREN LANDES UND HÖRT AUF SCHANDE ÜBER MEIN LAND, KIRGISISTAN, ZU BRINGEN!!!

‘Sorgt das nicht für Geschlechterungerechtigkeit?’

Elena betont [ru], dass Gesetze, die für Frauen gelten, auch für Männer gelten sollten:

 Это что гендерное неравенство? Пусть тогда и парней до 23 лет не пускают… Пусть лучше дома работают, порядок наводят, заводы строят, дороги… Замуж девушек берут. А то не справедливо получается.

Werden hier die Geschlechter nicht ungleich behandelt? Dann verbietet auch jungen Männern unter 23 das Land zu verlassen. Lasst sie zu Hause arbeiten, Fabriken und Straßen bauen. Frauen heiraten. Alles andere ist unfair.

Einer der bemerkenswertesten Beiträge zur Debatte kam von einem Rechtsanwalt, Sadanbekov, der prophezeite [ru], dass es in einem derart korrupten Land wie Kirgisien für junge Frauen, die das Land verlassen wollen, durch die Gesetzesinitiative zu einer zusätzlichen finanziellen Belastung in Form von Bestechungsgeldern kommen werde:

А вы не усматриваете здесь нарушение прав человека (девушки)? Под этим соусом погранцы начнут злоупотреблять служебным положением и вымогать деньги со всех девушек. Каждый имеет право на свободу передвижений, на свободу выбора места жительства и выезда. А может быть самой Ыргал Кадыралиевой запретить выезжать за границу? Зачем нам такие парламентарии, которые палки в колеса вставляют и инициируют бестолковые законы? Разогнать надобно такой Жогорку Кенеш! Система парламентаризма в Кыргызстане не оправдала себя.

Sehen Sie nicht, dass das eine Verletzung der Menschenrechte (der jungen Frauen) darstellt? Grenzsoldaten werden [das Dekret] ausnutzen um von jedem Mädchen Geld zu erpressen. Jeder hat das Recht auf Freizügigkeit, das Recht den Aufenthaltsort zu wählen, und das Recht das Land zu verlassen. Vielleicht sollten wir Yrgal Kadyralieva verbieten ins Ausland zu reisen? Wozu brauchen wir Parlamentsmitglieder, die derart sinnlose Gesetze initiieren? Solch ein Parlament sollte aufgelöst werden! Das kirgisische Parlamentssystem ist den Erwartungen nicht gerecht geworden.

Zwischen Yuri Puinov, der sich gegen das Dekret stellte, und Beks Okenov, der es befürwortete, entwickelte sich eine Debatte zum selben Thema, die schließlich eine intensive Diskussion auf Twitter mit dem Hashtag #kloopdebates in Gang brachte. Eine Umfrage bescheinigte Puinov die Debatte mit einem kleinen Vorsprung gewonnen zu haben.

Im Zuge dieser Debatte twitterte [ru] Anisa Atalova (@AnisaAtalova):

@AnisaAtalova: А что если девушки не хотят защиты? Кто-то будет спрашивать? #kloopdebates

@AnisaAtalova: Und wenn die Mädchen garnicht beschützt werden wollen? Werden sie auch einmal nach ihrer Meinung gefragt? #kloopdebates

Janygul Janibekovna (@janygul) fragte [ru]:

@janygul: Безопасность важнее свободы? #kloopdebates

@janygul: Ist Sicherheit wichtiger als Freiheit? #kloopdebates

Und Azat Ruziev (@Azat25) bemerkte [ru] zu den Annahmen, auf denen das Dekret beruht:

@Azat25: Девушки, получается не полноценные граждане… законопроект готовит их стать проститутками #kloopdebates

@Azat25 Junge Frauen, so scheint es, werden nicht als Staatsbürger mit allen Rechten gesehen… dieser Gesetzentwurf macht aus ihnen Prostituierte #kloopdebates

Wie in dem Global-Voices-Bericht von Juni über die patriotischen Angriffe auf arbeitende Migrantinnen beschrieben, sind 30-40% der in Russland arbeitenden kirgisischen Migranten Frauen. Unter ihnen sind viele jung, unverheiratet und alleine in dem Land unterwegs.

Der parlamentarische Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten begrüßte den Vorschlag. Noch ist unklar, wann im Parlament über den Gesetzesentwurf abgestimmt werden wird.

Dieser Post entstand im Rahmen des GV Central Asia Interns Project an der Amerikanischen Universität Zentralasiens in Bishkek, Kirgisien.

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