Israel: Die Vor- und Nachteile der Verpflichtung von Ultraorthodoxen zum Wehrdienst

Dieser Post ist Teil der englischsprachigen Dossiers International Relations & Security [en; Internationale Beziehungen und Sicherheit].

Ultra-Orthodoxe Soldaten in Israek

Die Israelischen Streitkräfte teilen auf flickr dieses Foto ultraorthodoxer Soldaten 2010 am Ende eines Lehrgangs(CC BY-NC 2.0)

Die israelische Öffentlichkeit ist größtenteils gegen die gängige Praxis, jungen ultraorthodoxen Juden den Militärdienst zu erlassen. Dank politischer Machtspielchen wird an dieser Regelung nun schon lange festgehalten. Jetzt hat, zum ersten Mal seit 18 Jahren, ein israelischer Premierminister eine Regierung ohne die ultraorthodoxen Parteien und ihre loyalen Koalitionspartner Shas und United Torah Judaism gebildet und damit kann die Regelung nun auf den Püfstand.

Grund für den Ausschluss der ultraorthodoxen Parteien ist der kometenhafte Aufstieg der sekulären Partei Yesh Atid, die vom Journalisten und Nachrichtensprecher Yair Lapid angeführt wird.

Eines der zentralen Themen in Lapids Kampagne war die Forderung nach einer “gerechten Verteilung der Last” des Militärdienstes. Damit forderte er ein Ende der Praxis ultraorthodoxen Männern zu erlauben den Militärdienst zu vermeiden, indem sie ihre religiösen Studien nach Erreichen des 18. Lebensjahres mit einem Regierungstipendium fortsetzen, während andere jüdische junge Menschen gezwungen werden für ein Taschengeld in der Armee zu dienen.

Lapids Wahlerfolg und seine taktische Allianz mit der “Jewish Home”-Partei – einer Partei, die dem religiösen zionistischen Lager nahe steht (dessen Anhänger Wehrdienst leisten) – zwangen Benjamin Netanyahus Partei Likud-Beytenu ein Regierung zu bilden, die sich dafür einsetzen wird, dass Ultraorthodoxe zur Armee einberufen werden. Ultraorthodoxe Parteien reagierten mit Entsetzen darauf und drohten sogar, dass Massen das Land verlassen würden, sollten Ultraorthodoxe einberufen werden.

Der anonyme Blogger hinter Israeli Politics 101 [he] vertritt die in Israel weitverbreitete Ansicht, dass die Integration Ultraorthodoxer in den Wehrdienst auch den Weg ebnen wird für deren Integration in die erwerbstätige Bevölkerung. Er schreibt:

Dies ist ein bemerkenswerter Fakt: 29% der Kinder unter 6 sind heute arabisch, 30% ultraorthodox. Wer in Israels Zukunft blickt versteht, dass es keine realistische Chance gibt, das System weiterhin auf den Schultern der sekulären jüdischen Bevölkerung und dem religiösen zionistischen Lager zu errichten. In 12 Jahren werden sie die Minderheit sein und ihr Anteil an der Bevölkerung wahrscheinlich weiter schrumpfen. Der einzige Ausweg für Israels Zukunft ist, die Strukturen neu zu gestalten und eine echte Integration der arabischen und ultraorthodoxen Bevölkerung zu ermöglichen.

Der führende linksgerichtete Blogger Yossi Gurvitz [he] ist allerdings der Meinung, dass sich die neoliberalen Parteien des Themas der “gerechten Verteilung der Last” nur angenommen haben, um die Öffentlichkeit abzulenken, die 2011 in großer Zahl auf die Straße ging und soziale Gerechtigkeit forderte [en]:

Statt über ökonomische Gerechtigkeit zu sprechen, werden wir nun über die “gerechte Verteilung der Last” reden. Das Schreckgepenst der Einberufung Ultraorthodoxer in die IDF [Israel Defense Forces, Israelische Verteidigungsstreitkräfte] wird in dieser neuen Regierung das iranische Schreckgespenst ersetzen… Die Einberufung Ultraorthodoxer wird allen schaden. Sie wird viel Geld kosten, sie wird Menschen in die Armee bringen, für die die Armee keine Verwendung hat – sie ist schon jetzt personell überbesetzt – und sie wird die Gleichstellung der Frauen rückgängig machen [ultraorthodoxe Männer werden nur in Einheiten dienen, in denen die Geschlechter getrennt sind – E.T.]. Unter dem Strich werden die IDF weniger schlagkräftig, die Militärausgaben werden um Milliarden ansteigen [für Gehälter von Ultraorthodoxen und andere Ausgaben – E.T.], die Gesellschaft wird militarisiert – und es wird weniger Gleichheit geben. Unter diesem Deckmantel wird der Großteil der Gesellschaft auch in Zukunft immer ärmer werden, während der Klassenkampf den Netanjahu betreibt, den nationalen Wohlstand von den unteren Klassen zu den oberen 1% verschiebt.

Der ultraorthodoxe Aktivist Yaacov Lebi [he], der sich für soziale Gerechtigkeit einsetzt, glaubt die ultraorthodoxe Gemeinschaft kann in dieser Situation nur davon profitieren in der Opposition zu bleiben:

Im Gegensatz zu einer Handvoll von Politikern und anderer mit persöhnlichen Interessen an dieser Angelegenheit, wird der größere Teil der ultraorthodoxen Bevölkerung von dem Platz in der Opposition profitieren… Die ultraorthodoxe Gemeinschaft wird einen Prozess durchlaufen, der bewirkt, dass interne und notwendige Kurskorrekturen durchgeführt werden und dass nachgedacht wird, sowohl über die internen ultraorthodoxen Probleme als auch die Beziehungen zwischen den Ultraorthodoxen und dem Staat und dem Rest der Bevölkerung.

Bisher scheiterten sekuläre Parteien aus der politischen Mitte, einschließlich der Shinui-Partei angeführt von Yair Lapid's Vater, mit dem Versuch die Einberufungspraxis zu verändern und Premierminister Netanyahu hat kein Interesse daran etwas am Status-Quo zu ändern und seine zuverlässigen Verbündeten vor den Kopf zu stoßen. Nun wird er aber vielleicht genau dazu gezwungen sein.

ISN logoDieser Post und seine Übersetzung ins Spanische, Arabische und Französische wurde in Auftrag gegeben vom International Security Network (ISN) [Internationales Netzwerk für Sicherheit], das Teil einer Partnerschaft ist, die weltweit Meinungen von Bürgern zu internationalen Beziehungen und Sicherheitsfragen aufspüren und sichtbar machen will. Dieser Post wurde zuerst auf dem ISN Blog [en] veröffentlicht [en]. Für weitere Berichte siehe hier [en].

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