Russland: Aktivistin in Haft wegen erfundener Drogenanzeige

Zu Beginn dieser Woche ist die von vielen so genannte Liste “politischer Gefangener” Russlands wieder länger geworden. Am 28. August wurde Taisija Osipowa [ru], eine Aktivistin von Anderes Russland [ru], zu acht Jahren Haft wegen Drogenbesitzes verurteilt – vier Jahre mehr als die Staatsanwaltschaft gefordert hatte. Osipova, eine Diabetikerin und Mutter, wurde ursprünglich zu zehn Jahren verurteilt, aber ihr Fall wurde an ein Bezirksgericht zur erneuten Prüfung übergeben, nachdem der damalige Präsident Dmitri Medwedew sich ablehnend zum Urteil äußerte und versprach [ru], dass sich Staatsanwälte noch mal “des Falles annehmen würden”.

Das neue Urteil im Fall Osipova hat Blogger sowohl die Integrität von Medwedew anzweifeln lassen wie auch den Einfluss, den er noch in der Regierung hat. Oppositionsführer Boris Nemtsow schrieb [ru] auf seinem Facebook-Profil:

Д. Медведев дважды мне и моим соратникам обещал помочь освободить Таисию. Помог, как видите. Ну почему они такие ничтожные, подлые вруны???

Medwedew hat mir und meinen Mitstreitern zweimal Hilfe versprochen, um Taisija zu befreien. Nun seht ihr, wie er geholfen hat. Warum sind sie denn nur solch elende, hinterhältige Lügner???

Fehlerhafte Anklage

Strategie-31 – Protest zur Unterstützung von Taisija Osipowa und Pussy Riot. Sankt-Petersburg, Russland. 31 August 2012, Foto von Mike Kireew, copyright © Demotix.

Die Umstände der Festnahme und Inhaftierung von Osipowa bleiben verdächtig. Bei der Durchsuchung ihrer Wohnung verstieß die Polizei mehrfach gegen das vorgegebene Prozedere, nur ein Zeuge war dabei. Später behauptete der Zeuge, er habe gesehen, wie die Polizei Drogen in die Wohnung schmuggelte; seine Worte wurden durch einen Lügendetektor-Test bestätigt. Das Gericht hat seine Aussage jedoch abgewiesen.

Die drei jungen Frauen [ru], die angeblich an einer verdeckten Operation teilgenommen haben und Drogen von Osipowa gekauft haben, sind auch Mitglieder der kremltreuen Jugendgruppen NASHI und Molodaja Gwardija. Darüber hinaus gibt es Hinweise darauf, dass sie während des angeblichen Drogenkaufs an einem ganz anderen Ort waren. Auch benutzt die Polizei normalerweise markierte Scheine bei solchen verdeckten Operationen, es wurde jedoch nur ein solcher Schein in ihrer Wohnung gefunden. Die Unterstützer von Osipowa behaupten, dass der Schein womöglich auch dorthin geschmuggelt wurde, zusammen mit den 10 Gramm Heroin.

Zudem zweifelt [ru] der Blogger Wladislaw Naganow daran, dass das scharfe Urteil im Fall Osipowa der üblichen gerichtlichen Praxis in Drogenfällen entspricht. Nach seinen Recherchen werden Angeklagte in ähnlichen Fällen statt zu 8 üblicherweise zu 2 bis 4 Jahren Haft verurteilt:

Буквально на днях организатора наркопритона под Калининградом (г. Черняховск) осудили на 2 года условно, хотя он был признан виновным и в незаконном приобретении, и хранении без цели сбыта наркотических средств в крупном размере.

Erst vor Kurzem wurde der Strippenzieher eines Drogenverstecks in der Nähe von Kaliningrad (in der Stadt Tschernjachowsk) zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt, obwohl man ihn wegen illegaler Anschaffung und Besitz von Drogen ohne Verkaufsabsicht für schuldig befand.

Die Beispiele gehen weiter. Der Journalist Demjan Kudrjawtsew glaubt [ru]:

Удвоить запрошенный прокурором срок по преступлению не связанному с насилием – это окончательное превращение судебной системы в карательную.

Eine Strafe, die von der Staatsanwaltschaft für ein nicht gewalttätiges Verbrechen gefordert wurde, zu verdoppeln – das ist die endgültige Verwandlung des gerichtlichen Systems in ein strafendes.

Warum wurde Osipowa so scharf bestraft? Ihre Unterstützer, zu denen scheinbar die Mehrheit russischer Netizens gehört, glauben, dass die Behörden ihr etwas angehängt haben, um sie zu einer Aussage [ru] gegen ihren Ehemann Sergej Fomtschenkow zu zwingen, einen regionalen Anführer von “Anderes Russland”. Diese Bewegung – insbesondere ihr Anführer Eduard Limonow – ist regelmäßig im Visier der Polizei, genauso wie die Strafverfolger ihre Vorgänger, die Nationalbloschewisten, verfolgt hatten. Limonow selbst schrieb [ru] in seinem Blog:

Восемь лет за решеткой для женщины с диабетом, – это смертная казнь. Они хотят убить Тасю. Заметно, насколько  приговоры по нацболам суровее  простых репрессий.

Acht Jahre Haft für eine Frau mit Diabetes ist ein Todesurteil. Sie wollen Taisija umbringen. Es ist sichtbar, in welchem Maße die Urteile gegen Natzbols [Mitglieder der Nationalbolschewisten] schärfer sind als einfache Repressionen.

Parallelen mit Pussy Riot

Eine Woche vor der Verkündung der achtjährigen Haftstrafe für Osipowa wurden die drei Frauen von Pussy Riot zu zwei Jahren Haft verurteilt. Beide Entscheidungen scheinen sowohl juristischen Präzendenzfällen wie auch normalem Menschenverstand zu widersprechen. Pussy Riot sind allerdings zum Symbol russischer politischer Opposition geworden. Der Fall von Osipowa hat [ru], im Gegensatz, weder vom internationalen noch nationalen Publikum viel Aufmerksamkeit bekommen. Weltweit bekannte Stars wie Paul McCartney und Madonna (die sich für die inhaftierten Punk-Rockerinnen einsetzten) haben geschwiegen zu Osipowa , eine Aktivistin der Opposition aus der Provinz, die viermal solange in Haft bleiben wird für etwas, was sie möglicherweise gar nicht getan hat.

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