Russland: Ein Gericht in Jaroslawl sperrt LiveJournal

Am Anfang dieser Woche reagierte ein Gericht in Jaroslawl auf die Anfrage der lokalen Gesetzeshüter und ordnete dem Internetanbieter Netis Telekom [ru] an, den Zugang zu einigen Webseiten zu sperren, darunter die Seite von LiveJournal, der beliebtesten Blogging-Plattform in Russland.

Laut Alexej Kukin von der Staatsanwaltschaft in Jaroslawl wurde bei einer Kontrolle zu Beginn dieses Jahres ein Neonazi-Blog entdeckt, das bei LJ betrieben wurde. Ein Zugang zu diesem Blog verstößt gegen russische Bundesgesetze gegen Extremismus. Dieses Blog, “pat-index,” befand sich seit Oktober 2009 auf der “Liste extremistischer Materialien” [ru] des Justizministeriums, nachdem ein Gericht in Baschkortostan es als “extremistisch” bezeichnete. (Das Blog wurde seit März 2008 nicht aktualisiert.)

Netis Telekom, mit etwa 6,000 Kunden in Jaroslawl, hat den Zugang zu der populären Blogging-Plattform LiveJournal versperrt. Foto des Autors.

Netis Telekom, mit etwa 6,000 Kunden in Jaroslawl, hat den Zugang zu der populären Blogging-Plattform LiveJournal versperrt. Foto des Autors.

Als Reaktion auf Zensurvorwürfe sagte [ru] Kukin den Journalisten, dass Netis Telekom die gerichtliche Anordnung übererfüllt hat und betonte, dass die Behörden lediglich das Filtern dieses einen Blogs verlangten und nicht des gesamten LiveJournal:

Это было бы бредом говорить, что мы требовали закрытия всего сайта www.livejournal.com. Речь шла о закрытии конкретно этой страницы. И в решении суда говорится о том же.

Es wäre Quatsch zu sagen, dass wir die Schließung des gesamten Livejournal verlangten. Die Rede war nur von der Schließung dieser konkreten Seite. Und genauso wurde es in der gerichtlichen Anordnung gesagt.

Im Text der gerichtlichen Anordnnung wird Netis Telekom hingegen deutlich angewiesen, den Zugang sowohl zu “pat-index.livejournal.com” wie auch zur IP-Adresse “208.93.0.128.” zu blockieren.

Diese letzte Kategorie umfasst aber, wie es der Zufall so will, das gesamte LiveJournal-Portal. In einem am 18. Juli veröffentlichten Blogeintrag [ru] erklärte Ilja Dronow, der Chef von LJ in Russland, die technischen Aspekte einer IP-Filterung:

Что касается технической стороны вопроса, то тут провайдер действительно может блокировать только весь ЖЖ, а не отдельный дневник […].

Was die technische Seite dieser Frage angeht: der Internetanbieter kann tatsächlich nur das gesamte LJ blockieren, nicht einen einzelnen Blog […].

Kukin räumte ein, dass es technisch schwierig  [en] ist, einen konkreten Nutzer eines Shared-Hosting-Servers zu blockieren, und deutete an [ru], das Netis Telekom das Jaroslawler Gerichtsanordnung zu weit gefasst hat:

Ответчик, видимо, по техническим причинам перекрыл доступ ко всему ЖЖ. IP-адрес в исковом заявлении был указан общий для всего ЖЖ, но провайдер в ходе разбирательства почему-то не уточнил адрес конкретной запрещённой страницы. В любом случае, я думаю вопрос с доступом к ЖЖ в ближайшее время будет решён.

Der Angeklagte hat offenbar aus technischen Gründen den Zugang zum gesamten LJ gesperrt. Die IP-Adresse in der Klageschrift war die allgemeine Adresse für das gesamte LJ, der Internetanbieter hat aus irgendwelchen Gründen während der Verhandlungen die Adresse der illegalen Seite nicht konkretisiert. In jedem Falle glaube ich, dass die Frage des Zugangs zu LJ bald gelöst sein wird.

Es bleibt jedoch unklar, wie Netis Telekom die IP-Filterung “konkretisieren” sollte. Die in der Anordnung genannte URL (“pat-index.livejournal.com”) ist exakt der IP-Adresse zugeordnet, welche das Gericht ebenfalls genannt hat (“208.93.0.128″). Unter dieser IP-Adresse ist livejournal.com in San Francisco registriert [en], genau wie jedes andere Blog, das auf der Seite betrieben wird.

Genauso unklar ist es, zu welchem Zeitpunkt Netis Telekom diese Frage ansprechen sollte, und warum die Staatsanwaltschaft die Sperrung der IP-Adresse befürwortete, wenn (wie Kukin behauptet) von Anfang an klar war, dass die Filterung von “208.93.0.128” zur kompletten Sperrung von LJ führen würde.

Screenshot des blockierten Zugangs zu pat-index.livejournal.com, 19 Juli 2012, Foto von Ilja Rassadin, benutzt mit seiner Genehmigung.

Anton Nosik, ein beliebter Blogger und Leiter der Abteilung “Medien” bei SUP Media (welches LiveJournal gehört), beschuldigt [ru] beim Jaroslawer Zwischenfall die russischen Behörden und ihre Unfähigkeit, die Auswirkungen der eigenen Anordnungen zu verstehen:

Проблема заключается в технической безграмотности и незнании предметной области. Решение выносится людьми, которые не в состоянии оценить его природу и последствия. Эту проблему могло бы решить повышение технической грамотности судебных работников и прокуроров, но к этому нет никаких стимулов. Потому что наши судьи и прокурорские работники — это все менты, которые не прошли бы переаттестацию.

Das Problem liegt im technischen Analphabetismus und der Unkenntnis des Fachbereichs. Diese Entscheidung wurde von Menschen getroffen, die nicht in der Lage sind, ihre Natur und die Konsequenzen abzuschätzen. Dieses Problem könnte durch die Verbesserung der Computerkenntnisse der Angestellten bei Gericht und Staatsanwaltschaft gelöst werden, es gibt jedoch keinen Anreiz dazu, weil diese Angestellten bei Gericht und Staatsanwaltschaft einfach nur Bullen sind, die eine Neuzulassung nicht bestehen würden.

In seinem eigenen Blog bei LiveJournal behauptet [ru] Nosik, dass die russischen Gesetzeshüter schon jetzt im Geiste des in der letzten Woche von der Duma verabschiedeten Gesetzes zu einer “schwarzen Liste” im Internet handeln (das Gesetz wurde von RuNet Echo hier analysiert). Andrej Malgin, ein anderer populärer Blogger mit Kreml-kritischem Unterton, verbindet den Fall auch mit einer größeren Razzia gegen die Meinungsfreiheit im Internet und behauptet [ru], dass das Blockieren von IP-Adressen wahrscheinlich ansteigen wird, und zwar mit Hilfe von Bot-Netzwerken, die absichtlich extremistische oder pornografische Materialien verteilen werden. Wenn eine unbesuchte Ecke eines populären Hosting-Servers mit illegalen Inhalten geflutet werden kann, dann wäre eine ähnliche gerichtliche Anordnung wie die von Jaroslawl (die gesamte IP-Adresse des Hosts zu blockieren) auch in anderen Teilen Russlands sehr wahrscheinlich.

In einer Anmerkung vom 19. Juli bezieht sich Nikolai Nikiforow, Minister für Kommunikation und Massenmedien, auf das Thema und sagt [ru], das wohl nur größere Internetanbieter die erforderliche Ausstattung haben, um eine URL-Filtration durchzuführen (insbesondere wenn ein einzelner LJ-Blog das Ziel ist und nicht die gesamte Domain). Dronow von LiveJournal führt an, dass die direkte Zusammenarbeit mit dem Host-Server (in diesem Fall unmittelbar mit LJ) der einfachste Weg ist, um solche Probleme anzugehen.

Er verweist auf das Team zur Missbrauchsvorbeugung [bei LiveJournal] und zitiert eine interne Geschäftsbedingung (gegen Hassrede [en]), welche eine Grundlage für die Ausschaltung des im Mittelpunkt des Skandals stehenden Neonazi-Blogs bietet. (Es sollte allerdings angemerkt werden, dass der besagte LJ-Blog immer noch zugänglich ist.) Die föderale Monitoring-Agentur Roskomnadsor hat diese Arbeitsweise bevorzugt und wandte sich alleine im ersten Halbjahr 2012 [ru] an Dutzende Domainhosts weltweit mit der Anfrage [ru], einzelne Seiten, die gegen Datenschutzgesetze verstoßen, zu deaktivieren (darunter [ru] LiveJournal und YouTube).

Obwohl die Emotionen im Nachgang zu dem Gesetz zur “schwarzen Liste” im Internet und einigen anderen kürzlichen politisierten Gesetzesinitiativen hochkochen, scheint nicht jeder über einen möglichen Dominoeffekt der Tyrannei besorgt zu sein. Ilja Rassadin, der Programmierer aus Jaroslawl, der ein Foto des Textes der gerichtlichen Anordnung zeigte (und ein aktiver Kritiker der LJ-Sperre ist), wiedersprach der Auffassung, dass das eine Folge des “Schwarze-Liste”-Gesetzes im RuNet ist.

Als ein Twitternutzer ihn darüber informierte, dass Anton Nosik diese Schulssfolgerung zog, sagte [ru] Rassadin einfach: “Die Entscheidung des Gerichtes ist nicht mit dem [kürzlich] verabschiedeten Gesetz verbunden.” Fürs Erste werden jedoch die meisten russischsprachigen Nutzer von LiveJournal (schätzungsweise fünf Millionen Menschen) wohl nicht damit einverstanden sein.

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