Die risikoreiche Achterbahnfahrt des Aktienmarktes in China

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Grün, die Farbe der Verzweiflung. Die Leinwand zeigt den einbrechenden Aktienmarkt in China am 7. Juli 2015. Foto von Owen.

Für Christine Kong war 2007 ein hartes Jahr. Der Einbruch im Aktienmarkt in China hat das Vermögen ihrer Familie so niedergerissen, dass, laut ihrer Aussage, „selbst mein Hund an Gewicht verloren hat“. Ihre Hoffnung auf das schnelle Geld durch Aktienhandel wurde zerstört, dennoch nicht ohne eine Lehre daraus zu ziehen. Die Investition in Aktien ist riskant und sie würde es nicht noch einmal tun.

Dachte sie zumindest.

Als der chinesische Aktienmarkt Anfang des Jahres hohe Kurse verzeichnete, war Kong, eine 31-jährige PR-Managerin aus Peking, wieder begeistert dabei. Einerseits, weil ihre „Finger juckten“ (chinesischer Slang für „Versuchungen nicht widerstehen können“), andererseits wegen dem Gruppenzwang, so Kong zu Global Voices:

My friends and colleagues all invest in the stock market. If I invested in stocks, we would have common things to talk about. I think it’s human nature that if you earn more, you would want to invest more.

Meine Freunde und Kollegen investieren alle in Aktien. Wenn ich in Aktien investiere, haben wir eine gemeinsames Thema, über das wir sprechen können. Ich glaube, so ist die menschliche Natur – wenn du viel verdienst, willst du auch mehr investieren.

Sie kaufte Aktien, als Chinas Benchmark, der SSE Composite Index, die 4.000er Marke im April erreichte. Dies war ein vom Staat indizierter Moment, den People's Daily einfach „nur den Anfang des Bullenmarktes“ nannte.

„Zu der Zeit ging es mir sehr gut“, erinnert sie sich.

Doch das hielt nicht lange an. Ein steiler Kursabfall, der in den vergangenen Wochen begann, hatte ihren Bestandswert halbiert, und somit verwandelte sich die Euphorie auf den chinesischen Märkten schnell in das schlimmste Aktienleid der letzten zwei Jahrzehnte. Seit Erreichen eines Sieben-Jahres-Hochs Mitte Juni hat der Aktienmarkt einen erheblichen Verlust erlitten, versucht er doch geschätzte 3,2 Milliarden US-Dollar oder sogar die 10-fache Menge des griechischen Bruttoinlandsprodukts zu vernichten. Kong erzählt:

It’s hard to describe my mentality. When stock prices began to drop, I didn’t take it too seriously. When it began to drop really badly, I felt a lot of pressure. […] But when that trend continued, and when your stock dropped to a point when it got suspended, you no longer feel panic. I feel quite calm now but sometimes that feeling is accompanied by some slight depression.

Ich kann meine Gefühle schwer beschreiben. Als die Aktienkurse fielen, habe ich das anfangs nicht so ernst genommen. Und als sie dann immer schneller fielen, habe ich den Druck und die Anspannung in mir gespürt. […] Der Trend setzte sich dann fort und als deine Aktie einen Punkt erreichte, wo sie eingestellt wurde, hast du keine Panik mehr. Mittlerweile bin ich ruhiger geworden, dennoch werde ich zeitweise etwas depressiv.

Das Debakel auf dem Aktienmarkt macht es für Investoren und Spitzenreiter aus der Kommunistenpartei nicht einfach. Als die Aktienanleger ihr Vermögen in der verganenen Woche schwinden sahen, setzte Peking plumpe Maßnahmen ein, darunter die Verbannung von Großaktionären, um zu verhindern, dass Geld in die Märkte gepumpt wird. Um Volatilität zu vermeiden, begannen am Montag nach der Aktieneinstellung hunderte von Unternehmen wieder zu handeln.

Nach einigen staatlichen Interventionen hat sich der Aktienmarkt seit vergangenen Donnerstag beruhigt. Die zerschlagenen Investoren müssen allerdings einen längeren Atem beweisen, bevor sie sich von ihrem finanziellen Verlust erholt haben.

Pessimismus und Wut

Das Unbehagen war deutlich zu spüren. Am Dienstag vergangener Woche versammelten sich ein Dutzend alter Männer vor dem Eingang eines Makler-Unternehmens in der zweiten Ring-Straße nahe Peking. Neben dem Teetrinken, Kettenrauchen und dem Wälzen von Zeitungen unterhielten sich die Männer über den chinesischen Aktienmarkt, ganz als würden sie gerade vom Karneval kommen. Ein Mann, der nicht erkannt werden möchte, erzählt:

I am worried the index is going to drop further. All my eight stocks have either been suspended or plummeted, I really want to beat someone up to vent my anger.

Ich befürchte, dass der Index noch weiter einbrechen wird. Meine acht Aktien wurden entweder eingestellt oder sind abgetürzt, manchmal möchte ich wirklich jemanden zusammenschlagen, um meinem Ärger Luft zu machen.

Die Medien sind voll damit, beklagt er, und bezieht sich damit auf eine frühere chinesische Medienberichterstattung, die viel Feuer am Haussemarkt entfacht hat. Ein Mann neben ihm sitzend fällt ihm ins Wort, macht auf eine Titelgeschichte in der Global Times mit der Headline „Chinas Schritt den Aktien-Markt zu stabilisieren schenkt der Welt Vertrauen“ aufmerksam.

„Diese wurde nur für die Außenwelt insziniert“, seufzt er.

Das Makler-Unternehmen könnte man leicht mit einem Pflegeheim verwechseln. Senioren mit wenig Kenntnissen in der Technik kommen für die große Leinwand in der Halle her, auf der die aktuellsten Aktien-Trends zu sehen sind. Einige von ihnen bilden Gruppen für eine Pokerrunde, während andere wiederum auf einer Bank vor sich hindösen. Fast alle Aktien waren an diesem Tag gefallen.

Einmal ging eine adrett gekleidete Dame mittleren Alters durch den Raum und rief: „Das alles wird von Kirchen aus den USA gesteuert! Amerikaner! Sie werden mit Gewehren auf euch schießen. In den letzten sechs Jahren habe ich gerade mal 3.000 Yuan verdient…“

Ihr Verhalten interessierte niemanden in dem Raum. „Wir haben in den vergangenen 14 Tagen mindestens 30 Leute getroffen, die in dieser Halle plötzlich wie von Sinnen waren“, erklärt eine Frau.

Eine Umfrage aus dem Jahr 2013 ergab, dass 61,3 Prozent der chinesischen Investoren von “immer wiederkehrenden negativen Emotionen überrollt wurden”. Ein weiteres Zeichen für den psychischen Stress: ein nicht bestätigter Schnappschuss einer Notiz wurde offensichtlich an die Wand eines Gebäudes gepinnt und mit der Social Media-Plattform Twitter einem breitem Publikum zugänglich gemacht. Darin heißt es:

Aufgrund des Zusammenbruchs des Aktienmarktes bleibt das Dach zur Vermeidung von Unfällen geschlossen” (in vereinfachtem Chinesisch. Online pix)

Die chinesische Social Media-Plattform Sina Weibo hat den Ausdruck „Aktien-Selbstmord“ nun verboten.

China hat derzeit 90 Millionen Aktien-Investoren, zweimal so viel wie die Einwohnerzahl Spaniens. Da die Immobilienpreise stagnieren und Sparen mittlerweile weniger attraktiv aufgrund von Zinssenkungen ist, ist das Erwerben von Aktien währenddessen im Mittelstand beliebt. Allein im April und Mai dieses Jahres wurden 14 Millionen neue Kapitalkonten eröffnet.

Für chinesische Behörden ist die Hausse ein doppelseitiger Segen in einer Zeit von abflauender Konjunktur. Zum einen wird der Konsumbedarf dadurch erhöht, dass die immer wohlhabender werdenden Menschen – so wie in Peking – versuchen, von veralteten Industrien wegzukommen und mehr Dienstleistungen anbieten. Schuldenbeladenen Staatsunternehmen werden somit die finanziellen Belastungen vereinfacht.

Im Gegensatz zu anderen Westmärkten sind die Masse an chinesischen Aktien-Investoren sogenannte Individualisten aus kleinen Familien-Unternehmen, die nur sehr begrenzt Erfahrungen im Investment haben. Für viele ist es ein Spiel mit hohen Anteilen, bei denen sie es sich nicht leisten können, zu viel zu verlieren. Und während es verschiedene Ansichten dazu gibt, wie viel Einfluss dieser Tumult tatsächlich auf Chinas Verbrauch hat, hören Investoren wie Christine Kong vorerst damit auf, ihr Geld für unsinnige Sachen auszugeben:

I was hoping to use the money I earn from the stock market to fly to the US to see my friends. Now I won’t be going. They will come to see me. I’ve also decided not to buy any handbags and not to go on overseas trips in the next two years.

Ich habe gehofft, dass ich mit dem Geld, was ich auf dem Aktienmarkt verdiene für Flüge in die USA verwenden kann, um meine Freunde zu besuchen. Nun wird daraus erstmal nichts. Sie werden mich besuchen. Ich habe außerdem beschlossen, mir keine Handtaschen zu kaufen und in den nächsten zwei Jahren nicht auf Reisen ins Ausland zu gehen.

Dennoch ist es für viele wie eine Sucht, von der sie sich sehr schwer lösen können, wie ein Benutzer auf Weibo, Li Dapeng, schreibt:

最黑暗的时候黎明即将到来,中国不是希腊,相信中国人的智慧!问题总会解决!八周的最小反弹时间会按时到来!没那么悲观!时间会消除一切忧虑,生活不会停止!擦干眼泪继续战斗!

Der schwerste Moment bedeutet, dass die Dämmerung geradezu um die Ecke liegt. China ist nicht Griechenland und wir müssen weiterhin an die Weisheit der chinesischen Bevölkerung glauben. Die Probleme werden sich lösen! …. Wischt euch die Tränen weg und kämpft weiter!

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