Netzbürger-Report: Facebooks Version des Internets wird demontiert

"Planet Facebook or Planet Earth?" 2010 map of Facebook's social graph, by Paul Butler.

“Planet Facebook oder Planet Erde?” 2010: Eine Karte des Nutzerverhaltens auf Facebook von Paul Butler.

Der Netzbürger-Report von Global Voices Advocacy ist eine internationale Momentaufnahme von Herausforderungen, Siegen und neuen Trends im weltweiten Internetrecht.

Facebooks Projekt Internet.org verfolgt das Ziel “der noch nicht online verbundenen Mehrheit der Weltbevölkerung einen Zugang zum Internet zu verschaffen”. In Zusammenarbeit mit Netzbetreibern und Mobilfunkunternehmen bietet das Programm den Nutzern von Handys Zugang zu einer Basisauswahl von Webseiten und Anwendungen (einschließlich Facebook) [die auch bei niedriger Bandbreite voll funktionsfähig sind], ohne für das Datenvolumen Gebühren zu verlangen. Facebooks Chef Mark Zuckerberg sagt: “Die Logik besteht darin, dass ein eingeschränkter Zugang besser ist als gar keiner.” Gegenwärtig ist diese Plattform nur in wenigen Ländern verfügbar, unter anderem in Bangladesch, Kolumbien, Indonesien und Sambia.

Internet.org bringt Facebook in die einflussreiche Position eines Türstehers von Informationen, der Menschen auswählt, die sich bislang keinen uneingeschränkten Zugang zum weltweiten Web leisten können. Obwohl Facebook es grundsätzlich jedem Betreiber ermöglicht, dem Basispaket von Internet.org seine eigenen Dienste hinzuzufügen, bleibt letztendlich offen, wie Administratoren darüber entscheiden, welche Seiten außen vor bleiben. Man kann sich auch leicht vorstellen, dass Unternehmen von gewissen Regierungen gedrängt werden, bestimmte Inhalte bei Internet.org zu unterdrücken.

Die Electronic Frontier Foundation hat ein weiteres Kernproblem hervorgehoben, das darin besteht, dass Internet.org-Webseiten, die sichere Übertragungsprotokollen wie HTTPS verwenden, nur sehr eingeschränkt unterstützt. Jeremy Malcolm von EEF erläutert, dass angesichts der Eigenschaften der Nutzer-Handys “der Datenverkehr die Kommunikationsschnittstelle [Proxy] von Internet.org unverschlüsselt passieren muss, sodass jede vom Nutzer der Internet.org-Plattform gesendete oder empfangene Information von den lokalen Polizei- oder Geheimdienstbehörden mitgelesen werden kann und dadurch möglicherweise dem Nutzer erhebliche Probleme bereitet”.

Internet.org bekommt weltweit aus vielen Richtungen Gegenwind. Einige hundert Panamaer unterzeichneten eine Petition, in der sie Präsident Juan Carlos Varela bitten, Internet.org zu überprüfen. Außerdem reichten mehr als eine Million Inder eine Petition ein, damit die indische Aufsichtsbehörde für Telekommunikation die Anwendung verbietet. Die Regierung Indiens zieht sogar in Betracht, Planungen zu untersagen, die den Zugang zu bestimmten Webseiten diskriminieren, zu anderen jedoch nicht. Chile ist das erste Land, das diese Vorgehensweise (bekannt als “Null-Rating”) ausdrücklich verbietet und sie seit 2014 wegen des chilenischen Gesetzes zur Netzneutralität als illegal betrachtet. Es bleibt nichts anderes übrig, als zu beobachten, wie Facebook damit umgehen wird. Aber diese Vorgänge weisen darauf hin, dass in den vor uns liegenden Jahren das kommerzialisierte Web ein wichtiges Schlachtfeld der freien Meinungsäußerung sein wird.

Global Voices fordert Sicherheit für Blogger aus Bangladesch

Die Global Voices-Gemeinschaft gab in der vergangenen Woche eine öffentliche Erklärung ab, mit der erreicht werden soll, dass die alarmierende Situation der Blogger in Bangladesch international beachtet wird. “Wir verurteilen die Ermordung der Blogger Ananta Bijoy Das, Ahmed Rajib Haider, Washiqur Rahman und Avijit Roy und fordern von den verantwortlichen Behörden, sicherzustellen, dass diejenigen, die für die Morde verantwortlich sind, vor Gericht kommen. Und wir rufen unsere Verbündeten in der internationalen Menschenrechtsgemeinschaft dazu auf, sich unserem Aufruf anzuschließen und dabei zu helfen, dass diejenigen, die sich zurzeit in Gefahr befinden, künftig sicher sein werden.”

Junge politische Karikaturistin im Iran vor Gericht

Eine iranische Aktivistin und Künstlerin ist angeklagt worden, gegen das politische System Propaganda zu machen und Mitglieder des Parlaments, sowie den Obersten Führer durch eine von ihr gezeichnete und online verbreitete Karikatur beleidigt zu haben. In dieser Zeichnung sind iranische Parlamentsabgeordnete als Tiere abgebildet, die für ein Gesetz stimmen, dass Frauen den Zugang zu Verhütungsmitteln erschweren würde. Atena befindet sich seit ihrer ersten Inhaftierung im August 2014 in einer immer wieder verlängerten Isolationshaft und ist drei Wochen nach ihrer ersten Haftzeit in einen Hungerstreik getreten, um gegen die schlechten Bedingungen im Gefängnis zu protestieren. Amnesty International ruft zu einer Aktion unter dem Hashtag #freeAtena auf, damit Netzbürger mit ihren Tweets Atena unterstützen können.

Bahrainischer Aktivist wegen seiner Tweets erneut im Gefängnis

Ein Gericht in Bahrain bestätigte eine sechsmonatige Gefängnisstrafe für Nabeel Rajab, Vorsitzender des Zentrums für Menschenrechte in Bahrain. Die Verurteilung erfolgte wegen seiner Kommentare auf Twitter, mit denen er Polizisten kritisiert, die zu ISIS übergelaufen sind. Möglicherweise bleibt er noch länger in Haft, weil auch wegen anderer Tweets Ermittlungsverfahren laufen.

PayPal blockiert Spenden für russisches Oppositionspapier

Der Online-Bezahldienst PayPal hat ein Konto blockiert, das für Spenden bestimmt war, mit deren Hilfe ein Bericht gedruckt werden sollte, in dem der verstorbene Oppositionspolitiker Boris Nemtsow Beweise für Russlands Verstrickung in den ostukrainischen Konflikt präsentiert. Laut dem Kundenservice von PayPal “gestattet das Unternehmen gegenwärtig keiner politischen Partei in Russland, durch seinen Service Spenden entgegen zu nehmen. Entsprechendes gilt für das Verfolgen von politischen Zwecken in Russland. Dies hängt mit komplexen lokalen Rechtsvorschriften zusammen, wonach die Identität der Spender überprüft werden muss”. Allerdings ist unklar, wie PayPal “politische Zwecke” definiert beziehungsweise ob diese Regeln auch auf Konten anwendbar sind, die in anderen Ländern eröffnet worden sind.

In Großbritannien ist Hacken illegal (es sei denn, man ist die Regierung)

Die britische Regierung hat ihre Anti-Hacker-Gesetzgebung gerade noch rechtzeitig geändert, um sicher zu sein, dass Geheimdienste und Vollstreckungsbehörden vor einer strafrechtlichen Verfolgung bewahrt bleiben. Nach einer Mitteilung der in London ansässigen Menschenrechtsorganisation Privacy International ist der Computer Misuse Act novelliert worden. Kurz zuvor hatten Privacy International und sieben Internetdienstanbieter Anfechtungsklage wegen der Verletzung dieses Gesetzes erhoben, weil die Regierung das Hacken von Computern zur Beschaffung von Informationen nutzte. Das britische Innenministerium reagierte durch die Mitteilung, dass es keinerlei gesetzliche Änderungen zur “Intensivierung oder Ausweitung von Ermittlungsbefugnissen der Behörden” gegeben habe.

Belgien putzt Facebook herunter, weil Nutzer ohne Zustimmung nachverfolgt werden

Belgiens Kommission zum Schutz der Privatsphäre kritisierte Facebook in sehr scharfer Form wegen Missachtung europäischer Gesetze zur Wahrung der Privatsphäre. Facebook habe das Verhalten von Nutzern ohne deren vorherige Zustimmung überwacht und sei entsprechenden Anfragen der Regulierungsbehörde ausgewichen. Laut Reuters sind Internetnutzer aufgefordert worden, Software zum Schutz der Privatsphäre zu installieren, um sich vor Facebooks Nachverfolgungssystemen zu schützen; unabhängig davon, ob sie bei Facebook ein Benutzerkonto haben oder nicht (das ist allemal ein guter Rat).

Entscheidung zur Schuldlosigkeit von Muslimen gekippt

Das Bundesberufungsgericht der USA kippte eine Anweisung an YouTube, den antiislamischen Filmtrailer “Schuldlosigkeit von Muslimen” von seiner Webseite zu entfernen. Das Video hat sich, als es 2012 veröffentlicht wurde, auf gewalttätige Proteste im ganzen Nahen Osten und in Nordafrika bezogen. Einige Länder, einschließlich Ägypten und Pakistan, blockierten YouTube wegen der Bereitstellung dieser Inhalte. Seinerzeit ist YouTube nach einer Klage der Schauspielerin Cindy Lee Garcia von einem Gericht dazu aufgefordert worden, das Video zu entfernen. In das Video war ein Bild von Lee Garcia ohne deren Zustimmung eingefügt worden, weshalb auch Google bereits wegen der Verletzung von Urheberrechten verklagt worden war. In der aktuellen Entscheidung bestätigte das Gericht einen möglichen Vertragsanspruch der Schauspielerin, verwarf jedoch den Versuch, “die freie Meinungsäußerung mit dem Hinweis auf das Urheberrecht zu behindern, das den Zweck habe, die Meinungsfreiheit zu fördern, statt sie einzuschränken”. Nach Auffassung der Bundesrichterin M. Margaret McKeown, “hat das Berufungsgericht eine einfache Lektion erteilt: Ein schwacher Urheberrechtsanspruch ist keine Rechtfertigung für Zensur unter dem Deckmantel des Schutzrechtes für Autoren”.

Profil eines äthiopischen Bloggers: Atnaf Berahane

Atnaf Berahane, Mitgründer des Bloggerkollektivs der Zone 9, wurde vor mehr als einem Jahr wegen seiner Beiträge zur Förderung des bürgerschaftlichen Engagements in Äthiopien inhaftiert. Wie Global Voices-Autor Kofi Yeboa ausführt, “verdient Atnaf, ebenso wie die anderen eingesperrten Zone9-Blogger, keine Gefängnisstrafe, sondern Anerkennung. Es ist nicht nur die Zukunft von Atnaf, die vor Gericht verhandelt wird, sondern die eines jeden aufstrebenden jungen Menschen, der es wagt, von einer repressiven Regierung das Recht auf freie Meinungsäußerung zu verlangen”.

Neue Studien [auf Englisch]

Weitere wichtige Artikel von Advox:

Ellery Roberts Biddle, Mohamed ElGohary, Hae-in Lim und Sarah Myers West haben zu diesem Report beigetragen.

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