Countdown für das Ende von Twitter in Russland

Time may be up for Twitter's independence in Russia? Images mixed by author.

Sind in Russland die Tage von Twitters Unabhängigkeit gezählt? Fotomontage des Autors.

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Der stellvertretende Direktor von Russlands maßgeblicher Zensurbehörde Roskomnadsor hat damit gedroht, dass die Regierung Twitter oder Facebook komplett sperren könnte, das sei eine Sache von Minuten. Maxim Ksensow sagte gegenüber der Tageszeitung Iswestija, Twitter sei ein “globales Medium für politische Werbung”. Dies bedeute, dass Twitter den geopolitischen Interessen Amerikas diene und dadurch Russland gefährde. Gegenwärtig hat Twitter weltweit mehr als 200 Millionen Nutzer, davon 1 Million in Russland. Facebook hat heute insgesamt mehr als 1,3 Milliarden Nutzer, in Russland sind es 21,4 Millionen

Wenige Stunden nachdem Ksenzows Kommentar veröffentlicht worden ist, zog der russische Regierungschef Dmitri Medwedew vom Leder und schrieb auf Facebook, dass einige Beamte ab und zu “ihr Gehirn einschalten sollten” statt “in Interviews die Sperrung sozialer Netzwerke bekanntzugeben”. Medwedews Beitrag erhielt mehr als 5.000 Gefällt-mir-Angaben. Kurz danach hat Roskomnadsor eine vorausgegangene Stellungnahme zurückgezogen und stellte klar, dass Ksenzows Kommentare ausschließlich seine persönlichen Ansichten widerspiegeln, nicht jedoch die offizielle Meinung der Behörde. Wladimir Putins Sprechesprecher, Dmitri Peskow, sagte später gegenüber Iswestija, dass “die Schikane von Massenmedien oder sozialen Netzwerken inakzeptabel” sei. Dabei wiederholte er die Forderung gegenüber ausländischen Webseiten, Russlands Gesetze zu befolgen. 

Dmitri Medvedev lashes out at state officials who make announcements about closing whole social networks. May 16, 2014, Facebook.

Dmitri Medwedew zieht gegen Staatsbeamte vom Leder, die Ankündigungen über die Schließung sozialer Netzwerke machten. 16. Mai 2014, Facebook.

Wadim Dengin, ein Abgeordneter der Duma und Vorsitzender des Ausschusses zur Regulierung von Informationen, bezog sich auf den Skandal rund um das Interview als er versuchte, den Stellungnahmen von Ksenzow etwas Finesse zu geben: Eigentlich habe er nicht mit dem Abschalten von Twitter drohen, sondern vielmehr signalisieren wollen, dass es für das Betreiben der Webseite nötig sei, einen juristischen Sitz in Russland zu haben. Gegenwärtig habe Twitter weder Mitarbeiter noch Infrastruktur in Russland. Dadurch fiele es der Regierung schwer, gegenüber dem Unternehmen Forderungen geltend zu machen. Diesen Punkt hob Ksenzow in seinem Interview hervor, indem er erläuterte, das Google von allen US-Internetgiganten am besten kooperiere, gefolgt von dem grundsätzlich auch entgegenkommenden Facebook. Andererseits “lehne Twitter in den allermeisten Fällen das Löschen illegaler Informationen kategorisch ab”, beschwerte sich Ksenzow.

Nikita Likhaschew von TJournal verachtet die öffentliche Kritik von Medwedew an Ksenzow. Er argumentierte, dass der Regierungschef von der Internetzensur keinen blassen Schimmer habe und bloß seinen Beamten zurechtweisen wollte, weil der ein Interview gegeben hat und das Thema in aller Öffentlichkeit diskutiert. Likhaschew zufolge würden viele russische Internetnutzer Medwedews Reaktion fälschlicherweise als Kritik an Roskomnadsor interpretieren. 

Könnte es sein, dass der frühere Chefblogger des Landes überhaupt nichts gegen ein Russland ohne die beliebten sozialen Netzwerke einzuwenden hätte? Was sagen die Wirtschaftsführer unseres Landes dazu?

Die täglich erscheinende Technologiewebseite Hopes & Fears sprach mit sieben einflussreichen russischen Internetunternehmern über die Aussicht, den Zugang zu Twitter und Facebook zu verlieren. Aus dieser Gruppe schien nur Alexander Winokurow, Betreiber mehrerer regierungskritischer Nachrichtenportale (einschließlich des belagerten Fernsehsenders Doschd [de]), wirklich besorgt, dass das RuNet [russisches Internet] darunter leiden würde, wenn es die amerikanischen sozialen Netzwerke nicht mehr gäbe. Laut German Klimenko von LiveInternet wäre das Blockieren ausländischer Dienste sogar ein wahrer Segen für russische Webseiten. Andere Vertreter der Branche sagen, dass ihre Besucherströme größtenteils von Russlands sozialen Netzwerken, wie VKontakte und Odnoklassniki kommen. Denis Kriuschkow, Habrahabr, ist mittlerweile zuversichtlich, dass Facebook und Twitter sich irgendwie mit der Regierung einigen werden, indem sie stillschweigend mit der Zensurbehörde kooperieren, um ihren Zugang zum russischen Markt zu behalten. 

Medwedews Beitrag auf Facebook, die Klarstellung von Roskomnadzor und Peskows beschwichtigende Kommentare legen nahe, dass Russland sich nicht dazu gezwungen sieht, den Zugang zu Twitter und Facebook zu unterbinden. Jedenfalls wäre das keine Sache von wenigen Minuten. Amerikas soziale Netzwerke dürfen in Russland mit einer Gnadenfrist rechnen. Währenddessen wartet der Kreml darauf, dass die Internetunternehmen lokale Büros eröffnen und den staatlichen Zensurbehörden ihre Gesprächsbereitschaft signalisieren. Nach dieser Logik werden Twitter und Facebook die gestellten Bedingungen erfüllen, wenn ihnen ihr Geschäft in Russland etwas wert ist.

Wenn es um das russische Internet geht, wettet der Kreml darauf, dass Profite wichtiger sind als Prinzipien.

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