Iran: Nach Protesten entstehen Untergrundzeitungen im Internet

Die Entstehung von Internetzeitungen im Iran beweist den Willen der Bürger Irans und der Oppositionsgruppen, weiterhin Informationen auszutauschen, auch wenn die islamische Republik die Zensur verschärft, filtert und unterdrückt. Beim Lesen von Internetzeitungen wird klar, dass die iranische Protestbewegung so vielfältig ist wie die iranische Gesellschaft und ihre Blogosphäre.

In den letzten zwei Monaten haben die Sicherheitskräfte der islamischen Republik den Druck auf die Medien erhöht. Dies geschah, nachdem der Iran von großen Demonstrationen erschüttert wurde, die den Präsidentschaftswahlen am 12. Juni folgten, bei denen der amtierende Präsident Mahmoud Ahmadinejad zum Sieger erklärt worden war.

Dutzende Journalisten und Blogger wurden verhaftet, reformfreundliche Websites gefiltert und einige, noch nicht verbotene reformfreundliche Magazine, z.B. Etemad Meli, stehen unter intensiver Überwachung. Unter diesen schwierigen Umständen werden wir Zeugen eines neuen Phänomens im Iran: der Entstehung von „Untergrund“-Zeitungen im Internet.

Mindestens zwei solcher Zeitungen wurden Ende Juni zum ersten Mal veröffentlicht: Khyaboon („Straße“) und Kalam Sabz („Grünes Wort“), wobei sich das Wort „grün“ auf die Farbe der Kampagne von Mir Hussein Mousavi bezieht. Khyaboon hat bisher 13 Ausgaben veröffentlicht, Kalam Sabz 10. Khyaboon ist nur per E-Mail verfügbar, die Zeitung verfügt über keine Website oder ein Blog. Kalam Sabz nutzt auch E-Mails, hat jedoch auch eine Website. Beide Magazine werden im PDF-Format herausgegeben.

Khyaboon

Hier einige Schlagzeilen aus Khayaboon: „Was in der Stille des Evin-Gefängnisses vor sich geht“, „Mousavi schreibt nur einen Brief, während an den Händen des Regimes Blut klebt“, (erstes Foto), „Handelt es sich um einen unblutigen Staatsstreich?”, „Urbane Kunst sieht etablierte Ordnung kritisch“ (zweites Foto), „Hört auf, Geständnisse zu erzwingen“, „Menschen haben sich gegen den Staatsstreich aufgelehnt, Mousavi war nicht dabei“ (drittes Foto), „Auf den Straßen bricht der Krieg aus“ (viertes Foto) und „Kampagne zur Verteidigung verhafteter Demonstranten hat begonnen“ (fünftes Foto).

BubbleShare: Fotos freigebenEinfache Fotofreigabe

Kalam Sabz

Schlagzeilen in Kalam Sabz lauten: „Mousavi spricht Familien der Opfer sein Beleid aus“, „Neda ist das beliebteste Wort der Welt“ (erstes Foto), „Karroubi: Unterdrückungseinheiten wurden in Russland ausgebildet“ (zweites Bild), „Diesjährige Katastrophe schlimmer als 18 Tir” [Niederschlagung der Studentenrevolte 1999] (drittes Foto), „Khatami: Es war ein Staatsstreich gegen das Volk“ (viertes Foto).

BubbleShare: Fotos freigebenEinfache Fotofreigabe

Politische Trends

Die beiden Publikationen haben gemeinsam, dass sie beide gegen den gegenwärtigen Präsidenten sind und gegen die Entscheidung des Präsidenten des höchsten iranischen Gerichtshofs, Ayathollah Ali Khamenei, der den Sieg Ahmadinejads für rechtmäßig erklärte.

Während Kalam Sabz im Allgemeinen die Meinungen und Aussagen der Reformführer und Reformparteien widerspiegelt, kritisiert Khyaboon Mousavi dafür, zu weich zu sein, um den Behörden gegenüberzutreten und diese zum Handeln aufzufordern. Kalam Sabz, Organ der Reformer, stellt die Legitimität der islamischen Republik nicht in Frage, während Khyaboon das anders sieht.

Khyaboon kann als radikal-linkes Magazin charakterisiert werden, das sogar Mousavi für seine Tatenlosigkeit kritisiert. In einem Artikel mit dem Titel „Mousavi und seine Eliten“ schreibt der Autor Amir K., dass Mousavis Taten seinen Widerwillen zeige, die Interessen seiner Klasse zu opfern, und obwohl er in seiner 9. Erklärung sagt, Ahmadinejad sei kein legitimer Präsident, zeige er nicht genügend Wege auf, um den Staatsstreich zu beenden und schaffe es nicht, die Verurteilung derjenigen zu fordern, die Menschen getötet haben.

Khyaboon veröffentlicht Gedichte von Said Soltani, einem bekannten marxistischen Dichter, der in den frühen 1980er Jahren hingerichtet wurde, als Ayatollah Khomeini, der geistliche Führer der iranischen Reformer und Konservativen, Staatchef der islamischen Republik war. Ansichten von Arbeitergewerkschaft und linken Studenten werden ebenfalls in Khayaboon veröffentlicht.

Kalam Sabz zitierte in seiner ersten Ausgabe eine Aussage des iranischen Führers von vor 30 Jahren, in dem er die angebliche Gewohnheit des Schahs kritisierte, seinen eigene Wünschen und nicht denen des Volks zu folgen. Wenn heute jemand denselben Weg einschlage, so Kalam Sabz, begehe er eine Tat, die dieselbe Verurteilung verdient hätte.

Bilder sagen mehr als Worte

Khyaboon hat viele Fotos der Proteste veröffentlicht, darunter einige, auf denen Sicherheitskräfte zu sehen sind, wie sie Demonstranten bedrohen, oder Demonstranten, die Steine werfen. Es gibt so gut wie keine Fotos von Reformführern. Kalam Sabz veröffentlicht dagegen selten Fotos der Protestbewegung und präsentiert normalerweise das Bild eines Reformführers auf der ersten Seite.

Khyaboon veröffentlicht, ebenso im Gegensatz zu Kalam Sabz, Cartoons, die auf Ali Khamenei abzielen und zeigt auf dem Cover seiner 13. Ausgabe ein Graffiti (zweites Bild in unserem Khyaboon-Album), das einen Affen zeigt, wie er die verschiedenen Stufen der Evolution durchläuft, zu einem Menschen wird und schließlich zu einem Menschen mit Gewehr.

Das Lesen der neuen Untergrund-Zeitungen im Internet eröffnet einen Blick auf die sich verschärfende Krise im Iran und der schlimme Zustand, in dem sich die Medien dort befinden. Khyaboon und Kalam Sabz zeigen die unterschiedlichen Lager innerhalb der Protestbewegung und die Art und Weise, wie ein Teil der Gesellschaft seine Forderungen und Parolen radikalisiert.

Zeitoon, eine im Iran aktive Bloggerin, beschreibt auf Ihrem Blog eine ähnliche Situation. Bei einer Demonstration am Donnerstag bemerkte sie viele Parolen wie „weg mit Khamenei“, „Diktator raus“ und “Allaho Akbar”, aber den Namen Mousavi hörte sie nur vereinzelt.

Kyaboon und Kalam Sabz sind militante Magazine, die gegen den starken Einfluss der staatlichen Zeitungen, des staatlichen Fernsehens, Radios und der staatlichen Websites ankämpfen. Es scheint, als ob unabhängige Medien ihren Platz verloren hätten zwischen der riesigen staatlichen Propagandamaschinerie, die alles, was im Land passiert, als wunderbar darstellt, und der „Fight-Club“-mäßigen Untergrundmagazine. Unabhängige Journalisten haben jedoch einen Platz gefunden: die Gefängniszelle.

1 Kommentar

Sag deine Meinung!

Für Autoren: Anmelden »

Richtlinien

  • Alle Kommentare werden moderiert. Sende nicht mehrmals den gleichen Kommentar, damit er nicht als Spam gelöscht wird.
  • Bitte geh respektvoll mit anderen um. Hass-Kommentare, Obszönes und persönliche Beleidigungen werden nicht freigeschaltet..