Weißrussland: Gebt Lukashenko sein LuNet!

Als der weißrussische Aktivist Dzianis Dzianisau fast zwei Monate inhaftiert wurde, mit dem Vorwurf an “Kundgebungen teilgenommen zu haben, die die öffentliche Ordnung beeinträchtigen”, organisierte die weißrussische Blogosphäre erfolgreich eine online und offline Kampagne um die Kaution zu bezahlen(15.500.000 Weißrussische Rubel oder $7,300). So kam der junge politische Gefangene frei. Dem weißrussischen Blogger und Aktivisten Zmieter Soltan zu Folge(Podcast-Interview unten im Beitrag) enthielt die Kampagne zahlreiche weißrussische Online-Communities auf LiveJournal: “Es gab zahlreiche Posts mit dem Bild von Dzianis, Updates über den Untersuchungsstand des Falles, mögliche Vorwürfe, die gegen ihn erhoben werden könnten, Fotos seiner Mutter und seiner Freundin, Berichte über die Veranstaltung auf der er verhaftet wurde, regelmäßige Updates über das bereits gespendete Geld und Nachrichten von Besuchen im Gefängnis.”

Die jüngste Episode von weißrussischem Cyberaktivismus ist wesentlich kreativer und zynischer. Diesmal kam sie in Form eines Geburtstagsgeschenks für den Präsident Alexander Lukashenko, nachdem er sich über die Anarchie im Internet beschwerte. Während eines Besuchs bei der staatseigenen Zeitung Sovietskaya Bielorussiya kündigte Präsident Lukashenko seinen Plan an, die Beschränkungen für das Internet zu verschärfen und sagte: “Es ist Zeit die Anarchie im Internet zu beschränken. Wir dürfen es nicht zulassen, dass diese technologische Errungenschaft der Menschheit zu einem Informationsmüllhaufen wird.”

Die Nutzung des Internets ist in Weißrussland bereits beschränkt. Dem Bericht der OpenNet Initiative über Internetfilterung in Weißrussland zufolge, erfordern die meisten Internetcafes, dass Nutzer sich identifizieren und loggen ihre Onlineaktivitäten mit. Als Reaktion auf Lukashenko`s Kommentare haben sich Aktivisten der Onlinecommunity “Third Way” und der LuNet Kampagne zusammengetan, um auf die Gefahren für die Meinungsfreiheit im Netz durch ein neues Medienrecht hinzuweisen. Die LuNet Kampagne umfasst die folgenden Seiten: die LuTube Video-Sharing Webseite, die Blogging-Plattform LuJournal, die Lundex Suchmaschine und ein Webportal tut.lu.

In diesem Interview mit Pavel Marosau von LuNet sprachen wir über die Kampagne, weißrussischen Cyberaktivismus und die Bedrohungen für die freie Meinungsäußerung im Netz in Weißrussland.

Sami Ben Gharbia: In einem Interview, das von Reuters kolportiert wurde, sagte Präsident Alexander Lukashenko: ““Es ist Zeit die Anarchie im Internet zu beschränken. Wir dürfen es nicht zulassen, dass diese technologische Errungenschaft der Menschheit zu einem Informationsmüllhaufen wird.” Welche Maßnahmen hat er unternommen um “die Anarchie im Internet” zu beenden?

Pavel Marosau: Präsident Lukashenko sagte das über die Anarchie im Internet während eines Treffens mit seinen loyalen Journalisten des Propagandablatts Sovietskaya Belorussia. Trotz der Tatsache, dass er alle Fernsehsender, Rundfunkstationen und die meisten Zeitungen kontrolliert, ist er immer noch nicht zufrieden. Er sieht das Internet als Bedrohung, denn weder er noch seine Leute waren darin erfolgreich, das Internet unter totale Kontrolle zu bringen. Ich denke nicht, dass er mit seiner alten Sovietmentalität versteht, was das Internet eigentlich ist. Und natürlich hat er Angst vor dem, was er nicht versteht.

Seine Berater legten ihm einige Vorschläge vor “um die Anarchie im Internet” aufzuhalten. Der offensichtlichste und gefährlichste Vorschlag für uns, ist die Verabschiedung eines neuen Mediengesetzes im Parlament, das er der Tasche hat. Ein solches Gesetz würde es allen Besitzern von “schädlichen” Webseiten auferlegen sich zu registieren, um so die Freiheit von Besitzern und Autoren beschränken zu können, indem man Presse und Webseiten angleicht. Es würde Repressionen, sowie die Verfolgung von Webseitenbesitzern und Autoren wesentlich erleichtern.

Weißrussische Behörden kämpfen seit Jahren gegen ungewollte Meinungsäußerungen im Internet, indem sie bestimmte Leute verfolgen. Jedoch greifen sie auf bestimmte höchst exotische Strafrechtsparagraphen und Bestrafungsmethoden zurück und es erfolgte nie auf einer regulären Basis. Zum Beispiel werden meine Kollegen Andrei Abozau und Aleg Minich sowie auch ich selbst immer noch verfolgt, weil wir Cartoons veröffentlicht hatten, die Lukashenka ins Lächerliche gezogen haben(www.multclub.org). Weshalb wir momentan im Ausland leben müssen. Im August 2007 wurde Andrei Klimau, ein bekannter weißrussischer Dissident für schuldig befunden, in einer Internetpublikation dazu aufgerufen zu haben, das Lukashenka-Regime zu stürzen. Er wurde zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt. Ein berühmter und scharfer Kritiker von Lukashenka, Andrei Suzdaltsev (www.politoboz.com) wurde wahrscheinlich vergiftet, was zu Diabetis und partiellem Verlust des Augenlichts führte. Besitzer der Vereinigten Bürgerpartei Weißrusslands wurden durch einen weißrussischen Beamten angeklagt sein Ansehen verletzt zu haben, aufgrund eines Artikels auf ihrer Homepage, der seinen Sohn des Rechtsmissbrauchs bezichtigte. Wie man sieht, sind sämtliche weißrussischen Behörden höchst kreativ in der Verfolgung von Internetdissidenten. Jedoch sind alle Maßnahmen nicht ausreichend, so dass sie ein Instrument zur Repression der Massen benötigen.

Es ist sinnvoll noch ein weiteres Beispiel anzuführen, wie in Weißrussland die Freiheiten bürgerlicher Gesellschaften beschnitten werden. Vor den Präsidentschaftswahlen 2006 verabschiedete das weißrussische Parlament ein Gesetz, welches die Strafe für die Mitgliedschaft in einer sog. “nichtregistrierten Organisation” signifikant erhöhte. Aber zu dieser Zeit, wie in der Gegenwart sind die meisten der oppositionellen Organisationen nicht registriert und die Regierung will sie schlicht auch nicht registrieren. Unmittelbar nach der Annahme des Gesetzes wurde eine Kampagne gegen unabhängige Beobachter, Jugendaktivisten und Politiker losgetreten. Einige wurden mit Haftstrafen von bis zu zwei Jahren belegt. Der weißrussischen Internetcommunity kann dasselbe Schicksal drohen. Das ist der Grund warum wir so aktiv gegen die Strafmaßnahmen Lukashenka`s protestieren.

Sami: Warum hast du Lukashenko's Geburtstag gewählt, um LuNet zu starten?

Pavel: Wir haben das Datum gewählt, da Lukashenka der Hauptinitator und Vordenker von Repressionen gegen ein unabhängiges Internet in Weißrussland ist. Es wäre nur gerecht, wenn Lukashenka selbst alle Annehmlichkeiten einer feinsäuberlich-kontrollierten, alternativlosen Informationsumwelt erfährt. Genauso verstehen wir Lunet. Das ist der Grund warum wir es ihm zum Geburtstagsgeschenk gemacht haben. Die Lunet Kampagne war zuerst angelegt als kleine Protestaktion gegen die Repression des Regimes gegenüber der Internetwelt. Jedoch erhielt es sehr viel Aufmerksamkeit in der Internetcommunity und viele junge Leute sprangen auf den Zug auf. Darum entschieden wir, daraus eine dauerhafte Aktion zu machen, mit neuen Anstrengungen für ein unabhängiges Internet in Weißrussland, das zu jeder Zeit erscheint.

Sami: Sind Social-Networking-Seiten wie YouTube oder LiveJournal von Zensur betroffen? Und wenn nicht, warum habt ihr sie als Vorlage gewählt, um eine lustige und orginal Lukashenko-benutzerfreundliche Version des Internets zu erstellen? Neben YouTube und LiveJournal habt ihr Lundex und tut.lu eingerichtet. Was bieten diese Webseiten?

Pavel: Die Herausforderungen des digitalen Zeitalters machen es dem weißrussischen Regime nicht einfach. Die Vertreter der Behörden – wie ich schon gesagt habe – realisieren die Bedeutung des Internets noch nicht vollständig, da ihre Mentalität immer noch in der Sovietzeit verhaftet ist. Das ist auch der Grund warum sie selbst(was sie auch zugegeben haben) genau beobachten, welche Erfahrungen andere repressive Staaten mit dem Internet machen, sowie Iran und China. Vor allem seit Lukashenka über gute Beziehungen und Verträge über Waffenlieferungen mit diesen Staaten verfügt.

Aber ich wiederhole es nochmal: es ist viel leichter für das Regime den Autor einer bestimmten Internetpublikation zu verhaften oder einzuschüchtern und den Zugang zu einer bestimmten Seiten zu hacken oder zu beschränken als ein groß angelegtes System zur Filterung aller Inhalte einzuführen, besonders wenn es auf so große Communities wie YouTube oder Livejournal angesetzt werden soll. Danach haben wir die Seiten ausgewählt, sowie die Suchmaschine Yandex und tut.by, das beliebteste weißrussische Webportal, eben weil sie so populär bei dem weißrussischen Publikum sind. Weißrussen hängen vor allem in diesen Portalen. Indem wir auf satirische Weise zeigen, was für ein Modell Lukashenka einführen will, stoßen wir sie am Besten darauf was sich verändert, wenn die Regierung das Interent unter Kontrolle bringen will. Wir wollen den weißrussischen Internetnutzern diese Gefahren nahe bringen. Es gibt ein gutes Sprichwort: “Das einzige was das Böse für seinen vollständigen Triumph braucht, ist das gute Menschen nichts tun”. Wir wollen, dass andere Weißrussen und unsere Kollegen aus dem Ausland zu unseren Freiheit stehen und wir sind sicher, dass dies helfen wird sie zu schützen.

Sami: Kannst du uns mehr über die Internet-Community “Third Way” und den weißrussischen Cyberaktivismus erzählen? Habt ihr noch andere spektakuläre Kampagnen wie Lunet gestartet? Stellt ihr den den weißrussischen Internetnutzern Tools für den Rundumschutz zur Verfügung? Und wie ist die Beziehung zwischen den Aktivisten und der weißrussischen Blogosphäre?

Pavel: Die Third Way Internetcommunity (www.3dway.org) ist eine Gruppe interessierter junger Weißrussen und ihren Kollegen aus dem Außland, die in 9 verschiedenen Ländern leben. Ihre Mission ist es, Weißrussland zu einem erfolgreichen und wettbewerbsfähigen Land zu machen, mit liberalen Werten, einer offenen Gesellschaft und einem demokratisch bürgerlichem System. Wir arbeiten zusammen, indem wir aktiv moderne Webtechnologien nutzen, um Weißrussland neben der Staatspropaganda mit alternativen Informationen  zu versorgen, um nach für Cyberaktivismus geeigneten Weißrussen weltweit Ausschau zu halten und diese einzubinden, sie auszubilden, um mit ihrer Hilfe ein Netzwerk geprägt duch Partnerschaft und Kooperation zu bilden. Darüber hinaus um unser Land im Ausland zu präsentieren um nicht für die Interessen des Regime`s Lukashenka zu werben, sondern für die weißrussische Gesellschaft.

Wir sind seit der Anfangszeit mit weißrussischen Aktivisten weltweit verbunden, wir sind Teil von ihnen, und wir helfen uns die ganze Zeit über gegenseitig. Die meisten weißrussischen Aktivisten sind in der weißrussischen Blogosphäre konzentriert, in Projekten wie Pozirk, Pavetra, BelMov, Moladz.org, Gart, Initsiativa, Bunt…Sie sind nicht nur im Internet aktiv, sondern auch offline, indem sie Lichterzüge und Protestaktionen durchführen. Seit 2005 haben wir verschiedene Internetkampagnen mit weißrussischen Cyberaktivisten Communities durchgeführt, sowie Jugendinitiativen:

Schutz der Geschichte von Minsk(gegen die Umbenennung von Straßen) 2005, Hrodna(gegen die Zerstörung des historischen Zentrums) 2007, Unterstützung von Solidaritätsaktionen 2005, weißrussischer Satiriker 2006 und für Freiheit weißrussischer politischer Gefangener 2006. Seit Mai 2007 haben wir gemeinsam im Rahmen von “Gemeinsam für Freiheit” agiert! Manifest (www.peremen.info). Sowohl Aktivisten weißrussischer NGO`s als auch Internetaktivisten sind in diesen Kampagnen engagiert.

Der Third Way stellt Koordinationsmöglichkeiten und technische Unterstützung dieser Unternehmungen zur Verfügung. Als Sicherheitsmaßnahme für weißrussische Cyberaktivisten, programmieren wir Skype als leicht zu handhabendes Mehrzweck-Tool. Auch haben wir zahlreiche Workshops zu Informationssicherheit für weißrusssiche Cyberaktivisten  gemeinsam mit ukrainischen Partnern durchgeführt und unsere Erfahrungen ausgetauscht. Aber die Entwicklung geht weiter und Skype ist nicht mehr so sicher, so dass wir 2008 neue Lösungen den Bereich Internetsicherheit für unsere weißrussischen Partner einführen werden. Die Third Way Community ist mit der weißrussischen Blogosphäre seit ihrer Entstehung befreundet, ebenso wie viele bekannte Blogger und aktive Mitglieder unserer Internetcommunity. Wir haben gute Beziehungen und kooperieren mit dem Pozirk Blogging Projekt, der Minsk_by blog-community.

Sami: Wie beurteilst du generell die Situation, was Filterung und Zensur in eurem Land angeht?

Pavel: Es existiert ein System, das Inhalte filtert in Weißrussland. Das System basiert auf chinesischer Technik und wurde vor nicht langer Zeit in der Ausrüstung des staatlichen Internet Provider Beltelecom installiert. Jedoch, der vornehmliche Zweck des Systems ist nicht Leute davon abzuhalten auf freie Informationen zuzugreifen, sondern die Überwachung weißrussischer Internetnutzer. Die Beschränkung des Zugangs zu bestimmten Seiten, geschieht nicht auf regulärer Basis. Während Wahlen, Referenden und anderen Gelegenheiten ist es von erheblicher Bedeutung für die Behörden, dass Seiten von Oppositionellen für weißrussische Nutzer zeitweise blockiert werden, sie werden gehackt und so eingestellt, dass sie destruktive Aktionen ausführen

Sami: Was war die Reaktion des weißrussischen Regimes auf die Lunet Kampagne?

Pavel: Ich denke, sie wussten nicht, wie sie auf solch eine Internetaktion reagieren sollten. Weshalb sie sich dazu entschieden haben, ruhig zu bleiben. Nichtsdestotrotz führen die Behörden ihre Vorbereitungen für neue repressive Gesetze fort, die sie mit dem “Schutz von allgemeinen Interessen” begründen. Ebenfalls ist es wahrscheinlich, dass sie sich auf einen Schauprozess gegen die weißrussischen Cyberaktivisten vorbereiten.

Sami: Was ist euer nächster Schritt?

Pavel: Wir möchten dieses Thema in der Zeit abdecken, in der das neue Gesetz von den Medien diskutiert und aufgegriffen wird. Nicht nur in der satirischen Form von Lunet, obwohl wir dafür ebenfalls ein paar frische Ideen haben. Wir würden gerne mit weißrussischen Politikern und öffentlichen Figuren kooperieren, um sie zu motivieren die globale Gemeinschaft aufmerksam zu machen, so dass die Situation in Richtung eines freien Internets für Weißrussland beeinflusst werden kann.

Auch würden wir gerne weißrussischen Nutzern einige Beispiele von Zensur und Beschränkungen des Internets in anderen Ländern zeigen, so dass sie verstehen, was genau auf sie wartet. Darüber hinaus, versuchen wir die Zusammenarbeit und Solidarität zwischen sozialen und politischen Internetprojekten und der Blogsphäre in Weißrussland zu verstärken. Im Rahmen der Allianz ziviler Aktivisten Time to Win stellen wir freies und sicheres Hosting für neue Internetprojekte zu sozialen und politischen Themen in Deutschland und den USA zur Verfügung. Wir helfen und beraten neue Initiativen darin, ihre eigenen Webseiten zu erstellen. Gemeinsam mit unseren deutschen Partnern erstellen wir neue Tools, die sichere Kommunikation, Anonymisierung und Filter-Umgehungen für weißrussische Cyberaktivisten bieten.

Link zum Interview(Mp3)

Geschrieben von Sami Ben Gharbia.


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