Uganda: Kann ein virales Video Kony aufhalten?

Ein Film, der den ugandischen Guerillaführer Joseph Kony, der vom Internationalen Gerichtshof wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gesucht wird, “berühmt” machen soll, um seine Verhaftung voranzutreiben, hat sich im Internet wie ein Lauffeuer verbreitet. #StopKony wurde zu einem der wichtigsten Themen auf Twitter und das Video löste eine Welle von Reaktionen unter Bloggern aus, die den Film und die damit verbundene Kampagne als grob vereinfachend ansehen.

Der 30-minütige Film hatte auf Vimeo und YouTube in den ersten zwei Tagen insgesamt über 20 Millionen Zuschauer und hat auch unter Prominenten wie Rihanna, Zooey Deschanel, Ryan Seacrest, und Ellen DeGeneres Beachtung gefunden. Auch bei Tausenden anderen wurde Interesse geweckt:

@thaRadBrad: Ich bin seit Jahren auf YouTube, aber ich habe noch nie ein Video gesehen, das sich so schnell verbreitet hat wie Kony 2012. Vollkommen verrückt. #stopkony

@WillGorsuch: Ich bin sicher, heute haben mehr als 5 Millionen Menschen erfahren, wer Kony ist #StopKONY

Der Film, produziert und erzählt von Invisible Children Mitgründer Jason Russell, benutzt beliebte YouTube-Videos und Clips aus früheren Filmen von Invisible Children (die teilweise in Uganda gedreht sind), appelliert an die Macht sozialer Medien, und zeigt Russels kleinen Sohn, um Zuschauer dazu zu bringen, “Joseph Kony berühmt zu machen, nicht um ihn zu feiern, sondern um Unterstützung für seine Verhaftung zu finden und einen Präzendenzfall für internationales Recht zu schaffen”.

Russell fordert Zuschauer auf, Prominente und Politiker zu “verfolgen”, um Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken und die US-Regierung dazu zu animieren, sicherzustellen, dass Kony noch im Jahr 2012 verhaftet wird. Zuschauer werden darum gebeten, eine Aktionspackung mit Armbändern und Plakaten zu kaufen, und am 20. April an der “Cover the Night”-Aktion teilzunehmen, indem sie diese Plakate bei sich in der Nachbarschaft aufhängen. Russell warnt:

Damit Kony dieses Jahr verhaftet werden kann, muss die ugandische Armee ihn finden. Um ihn zu finden, braucht die Armee Technologie und Training, um ihn im Dschungel zu finden. Hier kommen die amerikanischen Berater ins Spiel. Aber damit die amerikanischen Berater dort sind, muss die US-Regierung sie entsenden. Das hat sie getan, aber wenn die Regierung nicht glaubt, dass die Menschen sich für die Verhaftung Konys interessieren, wird sie die Mission beenden. Damit die Menschen sich interessieren, müssen sie Bescheid wissen. Und sie werden nur Bescheid wissen, wenn Konys Name überall ist.

Der Film ist von Netz-Bürgern in Uganda und anderswo scharf kritisiert worden, viele sind skeptisch gegenüber Invisible Children's Verständnis des langjährigen Aufstands der Lord's Resistance Army (LRA) und gegenüber dem alleinigen Fokus des Films auf Konys Verhaftung um die Kämpfe zu beenden. Die ugandische Journalistin und Global Voices Autorin Rosebell Kagumire twittert:

@RosebellK: Diese Vereinfachung einer Geschichte, die Millionen Menschen im Norden #Ugandas betrifft ist inakzeptabel #KONY2012

Rosebell hat auch ein eigenes Video [en] gepostet, in dem sie ihre Gedanken über den Film teilt:

Die Bloggerin und Aktivistin Solome Lemma aus der äthiopischen Diaspora hinterfragt [en] ebenfalls den “Mangel an Zusammenhang und Nuancen”, den sie in dem Film sieht:

In dem Video erklärt der Gründer von Invisible Children seinem kleinen Sohn, dass Kony ein böser Mann ist und gefangen werden muss. Papa wird dafür sorgen, dass er geschnappt wird. Er sagt “wenn wir Erfolg haben, können wir den Lauf der Geschichte ändern”. Was für ein bescheidenes Unterfangen! Ein langer sozioökonomischer und politischer Konflikt, der seit mehr als 25 Jahren andauert und viele verschiedene Staaten und Akteure betrifft, wird reduziert auf einen Kampf des Guten gegen den Bösen. Und wenn ein Dreijähriger das verstehen kann, kannst du das auch. Du musst nichts über die Kinder, über Uganda oder Afrika lernen. Du musst nur einige Leute anrufen, Flyer verteilen, Lieder singen, und damit wirst du die armen, vergessenen und unsichtbaren Menschen befreien.

Der ugandische Dichter und Musiker Musa Okwonga weist darauf hin [en], dass der Film zwei Hauptakteure des Konflikts und seine mögliche Lösung nicht erwähnt – den ugandischen Präsidenten Yoweri Museveni und ugandische Aktivisten, die das Problem bereits angehen:

Joseph Kony macht das schon eine sehr, sehr, sehr lange Zeit. Er tauchte vor etwa einem Vierteljahrhundert auf, ungefähr zur selben Zeit zu der Ugandas Präsident Yoweri Museveni an die Macht kam. Deswegen müssen die Schicksale dieser beiden Anführer meiner Meinung nach gemeinsam betrachtet werden. Aber obwohl Präsident Museveni eine Hauptrolle bei jeder möglichen Lösung des Problems spielen muss, habe ich nicht einmal in diesem 30-minütigen Video seinen Namen gehört. Das halte ich für ein entscheidendes Versäumnis. Invisible Children fordert die Zuschauer auf, amerikanische Politiker und Prominente in Aktion zu bringen, aber – und das ist ein wichtiges Warnsignal – sie stellen ihnen nicht die vielen Nordugander vor, die bereits großartige Arbeit machen, sowohl in ihren Gemeinden vor Ort als auch in der Diaspora. Sie bitten die Zuschauer nicht darum, diplomatischen Druck auf Präsident Musevenis Regierung auszuüben.

Joseph Kony – Anführer der Lord's Resistance Army (LRA). Foto freigegeben von Flickr Nutzer Chris Shultz unter Creative Commons (CC BY-SA 2.0).

Mehrere Personen, die sich mit dem Konflikt auskennen, haben darauf hingewiesen, dass der Film sich fast ausschließlich um Uganda dreht, trotz der Tatsache, dass die LRA in dem Land seit mehreren Jahren nicht mehr aktiv ist. Der ugandische Journalist Angelo Izama schreibt [en]:

Die Kampagne eine falsche Darstellung zu nennen ist untertrieben. Sie lenkt zwar die Aufmerksamkeit auf die Tatsache, dass Kony, der 2005 am Internationalen Gerichtshof wegen Kriegsverbrechen angeklagt wurde, immer noch auf freiem Fuß ist, aber die Darstellung seiner mutmaßlichen Verbrechen in Norduganda stammt aus der Vergangenheit. Zum Höhepunkt des Krieges, besonders zwischen 1999 und 2004, suchten sehr viele Kinder Zuflucht in den Straßen von Gulu Stadt, um den Schrecken von Entführung und Zwangseinzug in die Ränge der LRA zu entgehen. Heute sind die meisten dieser Kinder fast erwachsen.

Die Menschenrechtlerin und frühere Entwicklungshelferin Siena Antsis erklärt [en]:

Gulu – und Uganda – hat einige unglaubliche Veränderungen hinter sich. Die Wirtschaft boomt. Die Region stabilisiert sich wieder. Während Konys Leute anderswo weiterhin töten, vergewaltigen und abschlachten, ist Gulu kein bewegungsloser Ort, an dem sich nichts ändert. Genauso wenig sind es Uganda oder der Kontinent. Eine Region wie Gulu so darzustellen, und eine Botschaft an die Massen zu senden, dass der ganze Kontinent so aussieht, ist schädlich. Es untergräbt Investitionsmöglichkeiten. Es verschleiert Geschichten über Unternehmertum, Erfolg und Innovation. Hand in Hand damit geht die Aussage “Ich arbeite in Afrika.” Der ganze Kontinent wird über einen Kamm geschoren, ein einziges chaotisches Gebiet.

Der ugandische Blogger Julian Mwine twittert:

@Jaymwine: Ehrlich gesagt hätte #stopkony nicht trenden können als #kony #uganda terrorisierte, weil es damals noch kein Twitter gab.

Der Blogger TMS Ruge hinterfragt [en] Invisible Children's “Fundraising-Stunt” und vertritt die Auffassung, dass der Hauptzweck der Organisation nicht der “Verkauf von Gerechtigkeit, Demokratie oder die Wiederherstellung der Ehre von irgendjemandem” ist, sondern das egoistische Sichern des eigenen Überlebens:

Dies ist eine bewusste Maschine, die ständig einen Grund finden muss, selbst noch relevant zu sein. Sie verkaufen eigentlich sich selbst als Kern der Sache, als Subjekt, als Wundermittel für alles was mich, den nicht handlungsfähigen Afrikaner, plagt. Das einzige was ich tun muss ist mit meinem schlechten Englisch auftreten und dabei mitleiderregend und bedürftig aussehen. Du, mein guter, mediengewandter Klick-Aktivist, wirst eine Träne vergießen, reichlich “gefällt mir” auf Facebook klicken, dein Kader von ebenfalls schlecht informierten Internet-Freunden mobilisieren und blind mit Geld um dich werfen, um das Problem anzugehen.

Als Reaktion auf den Film hat TMS Ruge den #StopIC Hashtag auf Twitter gestartet. Eine wachsende Zahl von #StopKony Skeptikern verwenden diesen Tag:

@tmsruge: Immer und immer wieder habe ich zu dieser @Invisible Organisation geschwiegen, die uns unser Leistungsvermögen abspricht. Hört auf, uns unsere Würde wegzunehmen! #stopIC

@simbamaxxed: Wenn noch eine Person mir dieses pathetische #kony2012 Video auf die Pinnwand postet…#stopIC

@andykristian: Invisible Children erweist #Uganda einen Bärendienst. Bevor ihr IC unterstützt, lernt die Fakten. http://bit.ly/Anf4Sd #StopIC #StopKony

Für einige ugandische Blogger hat die Kontroverse um den Film auch eine breitere Debatte über Medienhype und internationale Bewusstheit für gewaltsame Konflikte ausgelöst. Als Antwort auf einen Aufruf der Autorin auf Twitter für ugandische Ansichten zum Film twittert der Blogger Ernest Bazanye:

@bazanye: @Opiaiya @rebekahredux @bazanye: …andere internationale Ereignisse? Wir könnten die Welt genauso falsch verstehen, wie die Welt uns falsch versteht

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