Polen: Regierung wird ACTA trotz heftiger Proteste unterzeichnen

“Das ACTA Abkommen ändert in keiner Weise polnisches Recht oder das Recht der Internetnutzer” – trotz heftiger Proteste im Internet [en] und Kontroversen um die geheimen Verhandlungen zur Ausarbeitung des Abkommens, hat Polens Minister für Verwaltung und Digitalisierung, Michal Boni, nach einem Treffen mit Premierminister Donald Tusk eingeräumt [en], dass die Regierung wie geplant am 26. Januar das Anti-Piraterie-Abkommen ACTA [en] unterzeichnen werde.

In einem Interview mit einem Radiosender sagte Boni [pl], dass es unmöglich wäre das Abkommen nicht zu unterzeichnen, weil es zu spät sei: Polen hat sich dem Verhandlungsprozess im Jahr 2008 angeschlossen und alle anderen europäischen Staaten haben es bereits unterzeichnet. Er merkte außerdem an, dass Polen “dem Abkommen eine Zusatzklausel beifügen soll, die deutlich macht, wie wir das Abkommen verstehen”.

Boni hatte versprochen [pl] breit angelegte öffentliche Konsultationen während des europäischen Ratifizierungsprozesses durchzuführen. Mehrere polnische Nichtregierungsorganisationen haben ihre Enttäuschung über den Umgang der Regierung mit ACTA zum Ausdruck gebracht und gleichzeitig gefordert die Entscheidung zu revidieren.

Seit dem 21. Januar haben Online-Hacker, die sich selbst Anonymous nennen, fast ohne Unterbrechung Webseiten der Regierung attackiert und lahmgelegt, um massiv gegen die Pläne der Regierung vorzugehen, das internationale Abkommen am Donnerstag zu unterzeichnen.

User @Anonymouswiki gesteht die Angriffe auf die Webseiten des Premierministers, des Parlaments und weiterer Regierungsinstanzen ein. Screenshot: Twitter @Anonymouswiki

User @Anonymouswiki gesteht die Angriffe auf die Webseiten des Premierministers, des Parlaments und weiterer Regierungsinstanzen ein. Screenshot: Twitter @Anonymouswiki

Auch wenn die Hacker nach wie vor viel Unterstützung von Internetusern erfahren, und obwohl die Hackerangriffe einer der Hauptgründe dafür waren, dass die Mainstream-Medien das Thema ACTA aufgegriffen haben, sieht sich die Gruppe auch Kritik von prominenten polnischen Technologiebloggern ausgesetzt.

Maciej Gajewski von Spidersweb nennt sie [pl] “weinende Kinder die sich um ihre mp3 Sorgen machen” und bedauert, dass sie zum Gesicht der Proteste wurden, weil es den Vertretern der Regierung Argumente gegen die Bewegung verschafft:

Kritik, Misstrauen und Argwohn sind eine Sache, aber Panik, Gerüchte und das Verbreiten von Fehlinformationen ist eine andere Sache. Wenn man sich manche Einträge auf den größten polnischen sozialen Nachrichtenplattformen anschaut, sich Kommentare mancher Leser durchliest, bekomme ich den Eindruck, dass der größte Teil der Protestler keine Ahnung hat, was ACTA überhaupt genau ist. Sie konstruieren unglaubliche Geschichten und verbreiten diese dann weiter. Die Masse wird verrückt: “Spießt den Premier auf”, “Lasst uns den Minister am Marterpfahl verbrennen!”, “Sie werden uns alle in Gefängnisse einschließen!”. Und dann auch noch Anonymous, die den ganzen Protest in den Augen älterer Wähler nur noch lächerlich machen.

Mehr als 900 Webseiten schalten am 24. Januar um auf schwarz

"So könnte das Internet bald aussehen. NEIN zu ACTA"" - über 900 polnische Webseiten schalteten am 24. Januar als Protest gegen das Abkommen komplett auf schwarz. Screenshot: http://spidersweb.pl

"So könnte das Internet bald aussehen. NEIN zu ACTA"" – über 900 polnische Webseiten schalteten am 24. Januar als Protest gegen das Abkommen komplett auf schwarz. Screenshot: http://spidersweb.pl

Als Gegner der Attacken auf Webseiten der Regierung rief [pl] Antyweb auf seinem Blog am 23. Januar zu einem Protest “auf ziviliserte Art und Weise, nämlich einen Blackout” auf und stellte gleichzeitig ein Script und eine Anleitung zur Verfügung. Als Reaktion darauf schalteten über 900 Webseiten um auf einen schwarzen Hintergrund mit einer Anti-ACTA Botschaft.

Allegro [pl], das polnische Pendant zu Ebay, hat ein “Anti-ACTA” Banner neben dem Firmenlogo platziert. Die Liste der Webseiten, die sich dem Protest anschließen, kann man hier [en] einsehen.

Die oppositionelle linksdemokratische Allianz [en] sprach sich ebenfalls gegen die Unterzeichnung des Abkommens durch die Regierung aus und schaltete die Webseite der Partei [pl] als Zeichen der Solidarität mit den Protesten komplett auf schwarz.

Während internationale Medien mit ein paar Ausnahmen [en] kaum über die Proteste in Polen berichten, stürzen sich polnische Nachrichtenportale darauf, zahlreiche Meinungen, Analysen und die aktuellen Berichte über ACTA zu veröffentlichen. In der Zwischenzeit scheint die Protestbewegung immer größer zu werden: die Anti-ACTA Protestversammlung Nie dla ACTA hat bereits über 400.000 Fans auf Facebook.

Ein Protest in Warschau brachte [pl] am Dienstag über 1.000 Menschen auf die Straße und ein weiterer ist für Mittwoch, den 25. Januar geplant.

 

"Legt die Unternehmen an die Leine, lang lebe das Volk": viele polnische Demonstranten gingen am 24. Januar auf die Straße. Foto: mit Erlaubnis von Alexey Sidorenko veröffentlicht.

"Legt die Unternehmen an die Leine, lang lebe das Volk": viele polnische Demonstranten gingen am 24. Januar auf die Straße. Foto: mit Erlaubnis von Alexey Sidorenko veröffentlicht.

Vagla, ein beliebter polnischer Blogger der über Recht im digitalen Zeitalter schreibt, verbreitete seine Hoffnung [pl] am 24. Januar über Twitter:

Ich glaube dass die Menschen langsam begreifen dass dies keine Diskussion über “Piraterie” und “Diebe” ist, sondern vielmehr darüber, welche Richtung unsere Gesellschaft einschlagen soll.

 

Update:

Später am 24. Januar bestätigte [pl] Premierminister Tusk auf einer Pressekonferenz offiziell, dass Polen ACTA am 26. Januar unterzeichnen wird. Außerdem betonte er, die Regierung werde sich der Erpressung nicht beugen, womit er die Attacken im Web meinte. Polen strebe Freiheit im Internet an, sagte Tusk.

 

 

Unterhaltung beginnen

Für Autoren: Anmelden »

Richtlinien

  • Alle Kommentare werden moderiert. Sende nicht mehrmals den gleichen Kommentar, damit er nicht als Spam gelöscht wird.
  • Bitte geh respektvoll mit anderen um. Hass-Kommentare, Obszönes und persönliche Beleidigungen werden nicht freigeschaltet..