Den Tatsachen ins Auge sehen: Ägyptens Probelauf zur digitalen Überwachung

Human silhouettes camera monitoring. Image by Geralt via Pixabay. Licensed to public domain.

Videokameras beobachten menschliche Silhouetten. Foto von Geralt via Pixabay. Frei von Urheberrechten.

Dieser Artikel ist ursprünglich bei Mada Masr erschienen. Alle Links führen, soweit nicht anders gekennzeichnet, zu englischsprachigen Webseiten.

Ägyptens Regierung möchte aggressive Verfahren zur massenhaften Überwachung entwickeln, die auf soziale Medien und andere Formen der Internetkommunikation in Ägypten anwendbar sind. Eine vom Innenministerium entworfene und in der vergangenen Woche der ägyptischen Presse zugespielte Ausschreibung mit der Aufforderung zur Angebotsabgabe enthüllte eine weitreichende (obwohl etwas vage) Aufstellung von Zielen für einen neuen “verbesserten” technischen Apparat zur Überwachung. Im Folgenden werden die wichtigsten Themenfelder sowie die Herausforderungen, mit denen Internetnutzer angesichts bestehender und künftiger Überwachungstaktiken in Ägypten zu kämpfen haben, einfach durch Fragen und Antworten zusammengefasst.

1. Was meinen wir, wenn wir über die “Privatsphäre in der digitalen Kommunikation” sprechen? 
Datenschutz hat viele Gesichter. Wir nutzen unterschiedliche Mittel, um zu kommunizieren: Mobiltelefone, Computer und das Internet. Genauso, wie wir Briefe an eine postalische Adresse senden. Aber Briefe sind privat: Niemand sollte sie öffnen, oder sie daran hindern ihr Ziel zu erreichen, oder Absender davon abhalten sie zu versenden, oder sie den Empfängern vorenthalten, oder ihren Inhalt verändern. Genauso wie Postdienste benutzt werden, um Briefe von einer Partei zur anderen zu senden, sollten Internetdienstanbieter (wie Mobilfunkgesellschaften, Internetunternehmen oder Anbieter sozialer Medien) ihre Leistungen erbringen, ohne die von ihren Nutzern übermittelten Inhalte lesen zu können.

2. Welche Garantien haben wir, dass Unternehmen unsere Privatsphäre respektieren?
Jedes Unternehmen hat Datenschutzrichtlinien. Diese Richtlinien regeln, welche Daten ein Unternehmen von seinen potenziellen Kunden kennen muss, um ihnen überhaupt bestimmte Leistungen anbieten zu können. Außerdem ist festgelegt, auf welche Daten das Unternehmen kein Recht hat, wo die gesammelten Daten abgespeichert werden, wie lange sie aufbewahrt werden, wer die Daten einsehen darf und so weiter. Neben diesen Unternehmensrichtlinien sollte auch der Staat Bestimmungen haben, um die Daten seiner Bürger zu schützen, das Sammeln und Speichern von Daten zu regulieren und einen allgemeinen Rechtsrahmen für [Kommunikations-] Unternehmen zu schaffen. Unter Mitwirkung aller wichtigen Interessengruppen, wie Unternehmen, politische Parteien, Menschenrechtsorganisationen, Technologieexperten, Wissenschaftlern und Journalisten, sollten diese Gesetze vom Parlament verabschiedet werden.

3. Wie wird Ägyptens Innenministerium das Thema der digitalen Überwachung angehen? 
Seit 2008 haben wir als Erforscher digitaler Rechte und als Aktivisten technische Erkenntnisse, Zeugenaussagen, Dokumente und weiteres Material gesammelt, um zu beweisen, dass das Innenministerium eine ganze Reihe von Wegen zur Beobachtung von Bürgern nutzt. Damit das Innenministerium dazu in der Lage ist, Internetaktivitäten zu verfolgen, muss es mit dem Kommunikationssektor zusammenarbeiten. Dazu gehören Mobilfunkanbieter und Kommunikationsplattformen. Es gibt sicher noch mehr Dinge, die das Innenministerium zur Umsetzung seiner Strategie braucht, insbesondere Software und Instrumente ausländischer Unternehmen, die auf dem Gebiet der Überwachung tätig sind. Im Jahre 2011, nachdem die Staatssicherheit gestürmt worden ist, sind Dokumente aufgefunden worden, wie das Protokoll eines Treffens [ar] mit Mobilfunkgesellschaften und Internetdienstanbietern in Ägypten. Dabei ging es um einen gemeinsamen Überwachungsplan [Global Voices Advocacy Bericht auf Englisch]. Andere Dokumente zeigen Angebotspräsentationen, die von Überwachungsunternehmen eingereicht wurden. Diese Unterlagen beweisen, dass es Zensur- und Überwachungsaktivitäten des Innenministeriums gibt und es zu diesem Zweck sowohl mit Unternehmen außerhalb Ägyptens zusammenarbeitet als auch ausländische Software ankauft. 

4. Welche Art von Software nutzt das Innenministerium? 
Nach den Dokumenten zu urteilen, die nach der Erstürmung der zentralen Staatssicherheitsbehörde auftauchten, stand das Ministerium seit 2009 mit einem Unternehmen namens Gamma International wegen dessen neu entwickelter Software FinFisher in Verbindung [ar]. Die Forschungsarbeiten der letzten vier Jahre zeigen, dass Ägypten verschiedene Softwareprodukte eingesetzt hat, einschließlich Bluecoat. Dieses Programm ist im August 2012 installiert worden. Eine weitere Software unter der Bezeichnung RSC war zwischen März 2012 und Oktober 2013 in Gebrauch.

5. Was macht diese Software?
Das Innenministerium hat diese Software benutzt, um Internetaktivitäten und Nutzer zu beobachten [ar]. Beispiele für Internetaktivitäten, die vom Ministerium bespitzelt wurden, sind Emailkonten (bei verschiedenen Anbietern, wie Hotmail, Yahoo oder Gmail) und Skype-Telefonate. Die dafür verwendete Software kann auf Laptops zugreifen, sie aus der Ferne steuern und persönliche Ordner öffnen, wie Bilder, Videos und Dateien. Außerdem können damit Passwörter ausgelesen werden, Kameras benutzt und die Mikrofone der Laptops eingeschaltet werden. 

6. Was kostet diese Software und wie finanziert das Innenministerium die Aufwendungen?
Diese Software ist sehr teuer, sie kostet Millionen von Pfund. Zum Beispiel hat die Gamma International Software EGP 2 Millionen gekostet, finanziert durch die ägyptischen Steuerzahler. 

7. Nachdem es diese Software schon eine Zeit lang gibt, was ist daran neu? 
Diese Software hat dem Ministerium dabei geholfen, Bürger dabei zu bespitzeln, wie sie sowohl das Internet als auch ihre Computer im Allgemeinen nutzen. Kürzlich haben wir jedoch erfahren, dass das Ministerium beabsichtigt, öffentlich zugängliche Inhalte zu sichten, zu sammeln und zu klassifizieren. Das Ministerium möchte also Facebook, Twitter, YouTube und Internetzeitungen überwachen. Darüber hinaus möchte das Ministerium künftig neuartige Applikationen ausforschen, beispielsweise WhatsApp und Viber. 

8. Worum geht es eigentlich?
Es ist völlig unproblematisch, wenn irgendeine Institution öffentliche Inhalte überwacht, da sie für jedermann frei verfügbar sind. Das eigentliche Problem besteht darin, dass das Innenministerium in seinen Ausschreibungsrichtlinien eine Software beschreibt, die nicht bloß öffentlich zugängliche, sondern auch private Inhalte erfasst, wie die Kommunikation bei WhatsApp und Viber. Da diese Gespräche in einem privaten, nicht öffentlichen, Format geführt werden, müsste das Ministerium entweder in diese Anwendungen eindringen, oder sämtliche Aktivitäten von Mobiltelefonen protokollieren, um an die gewünschten Informationen zu gelangen. In der Begründung zur Anschaffung derartiger Software liefert das Ministerium eine umständliche Rechtfertigung, wie “die Moral und die Tradition der ägyptischen Gesellschaft zu bewahren”. Derartige Erklärungen haben nichts mit Terrorismus zu tun, dem gebräuchlichen Vorwand zur Legitimierung staatlicher Überwachungsaktivitäten.

9. Aber das Innenministerium sagt, es möchte die Software nur deshalb, um Ägypten vor Terroristen und anderen Gefahren zu schützen. 
Selbstverständlich hat das Ministerium die Aufgabe, Ägypten vor Terrorismus und anderen Gefahren zu schützen. Aber die Software, die es haben möchte, wird diesen Zweck wahrscheinlich nicht erfüllen. Die primäre Funktion [ar] dieser Software besteht darin, nach Stichwörtern zu suchen, die moralische Werte verletzen, oder nicht in den Kontext der Tradition passen, wie sie das Ministerium versteht. Das hat nichts mit Terrorismus zu tun und ist eher ein schwer fassbares Ziel. Es gibt keine Regulierungsbestimmungen oder Kriterien, die gewährleisten, dass das Innenministerium diese Software nicht dazu missbraucht, um Menschen auszuspionieren beziehungsweise zu bestrafen, die Moralvorstellungen verletzen oder unter diesem Verdacht stehen, ohne dass dafür irgendwelche Beweise vorliegen.

10. Also sollten wir für oder gegen eine systematische Beobachtung sein?
Wir brauchen einen klaren Konsens hinsichtlich der Kriterien zur praktischen Umsetzung von Überwachungsmaßnahmen. Es sollte ein Gesetz geben, dass diese kritischen Menschenrechtsthemen behandelt. Und es sollte eine unabhängige Behörde geben, die die Umsetzung solcher Vorschriften beaufsichtigt. Überwachungsmaßnahmen sollten nur auf der Grundlage eines hinreichenden Verdachts und nicht zur Vorbeugung erlaubt sein. Überwachungen müssen zeitlich begrenzt sein und sich auf bestimmte Schwerpunkte oder Einzelpersonen beschränken, die im rechtlichen Sinne ein Bedrohung der Sicherheit darstellen. 

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