Afghanistan zeigt Taliban den Mittelfinger

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Mehr als sieben Millionen Afghanen nahmen diesen Samstag an den Präsidentschafts- und Provinzratswahlen teil trotz der Ankündigung der Taliban, Gewalt anzuwenden. Zuständige Stellen des Landes bestätigten eine bislang einmalige Wahlbeteiligung, wobei mindestens 58 % der an der Wahl Teilnahmeberechtigten ihren Stimmzettel abgaben. Damit ist die Wahlbeteiligung dieses Jahr erheblich höher als bei den Präsidentschaftswahlen 2009, bei der sie 38,8 % betrug. Ashraf Ghani, einer der drei Spitzenkandidaten [de], beansprucht für sich, bei den Wahlen vorn zu liegen.

Lange Warteschlangen vor den Wahllokalen zeigten die gemeinsame Entschiedenheit der afghanischen Wähler, dass die Zukunft im Land friedlich und demokratisch sein soll. Afghanische Politiker bezeichneten die hohe Wahlbeteiligung als “einen Schlag ins Gesicht der Feinde Afghanistans”. Einige Männer und Frauen suchten sich den Mittelfinger zum Tauchen in Tinte aus, um eine deutliche Botschaft an die aufständischen Taliban zu vermitteln. Internationale Experten, Journalisten und Politiker haben den Afghanen zu der großartigen Wahlbeteiligung gratuliert und ihnen eine demokratische Machtübergabe gewünscht.

Unterstützung aus aller Welt

Der Präsident der USA Barrack Obama veröffentlichte eine Stellungnahme, in der er die Afghanen für ihre erfolgreichen Wahlen beglückwünschte und dies einen “historischen” Moment nannte. Die Mitglieder des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen begrüßten die Wahlen und wiesen auf die bedeutende Rolle der afghanischen Wahleinrichtungen hin. Jan Kubis, Sonderbeauftragter der Vereinten Nationen in Afghanistan, erklärt:

Heute war ein guter Tag für die Zukunft eines sicheren und geeinten Afghanistans. Ganz normale Afghanen sind heute in großer Zahl rausgegangen, um zu wählen und haben den Attentaten und Drohungen der Taliban getrotzt. Oft in langen Warteschlangen und bei schlechtem Wetter haben die Wähler geduldig ausgeharrt, um ihr grundlegendes Menschenrecht zu wählen wahrzunehmen. Sie haben sich dazu entschieden, die zukünftige Entwicklungsrichtung ihres Landes durch politische Mittel zu bestimmen und weisen damit die Feinde von Frieden und Demokratie entschieden zurück.

Der britische Premierminister forderte die Afghanen dazu auf, an diesem historischen Moment teilzunehmen. Seine Twitternachricht lautet auf Paschtu: 

Morgen ist Wahltag in Afghanistan. Ich ermutige alle Afghanen, Männer wie Frauen, an diesem historischen Übergang teilzuhaben.

Die Wahllokale öffneten um sieben Uhr morgens. Bei der hohen Teilnahme und wegen der schlechten Wetterverhältnisse verlängerte die unabhängige Wahlkommission die Möglichkeit zur Wahlteilnahme um eine Stunde, damit alle Wähler ihre Stimme abgeben konnten. Nur 211 aller 6.423 Wahllokale blieben geschlossen. Im Jahr 2009 waren 440 Stimmlokale aufgrund von Sicherheitsbedenken und der Sorge, es könne Wahlbetrug stattfinden, geschlossen geblieben

Für die hohe Wahlbeteiligung wurden verschiedene Gründe genannt wie ein breiteres politische Bewusstsein in der Öffentlichkeit als bei vorherigen Wahlen sowie einer größeren Auswahl von Kandidaten. Außerdem gaben viele Menschen ihre Stimme ab, um Errungenschaften der letzten Zeit zu erhalten, insbesondere Frauenrechte und Möglichkeiten für Jugendliche und um die Modernisierung des Landes voranzutreiben. Ein Bewohner Kabuls, der von der britischen Zeitung The Guardian interviewt wurde, erklärt die hohe Wahlbeteiligung folgendermaßen:

Wir möchten, dass nach dem ersten Wahldurchgang die Ergebnisse bereits feststehen. Unser Volk, die Regierung und die Wirtschaft sind sehr schwach. Wenn es eine Stichwahl gibt, wird das eine Herausforderung für unsere Sicherheitskräfte.

Leider wird sich dieser Wunsch möglicherweise nicht erfüllen, wie Global Voices am 5. April berichtete

Nichtsdestotrotz gibt Bashardost in seiner Twitternachricht die Botschaft wieder, die die Afghanen durch ihre Stimmabgabe an die Taliban schicken: 

Afghanen wählen mit Stolz und Begeisterung bei den afghanischen Wahlen. Sie schicken außerdem den Taliban eine deutliche Botschaft.

Der stellvertretende Außenminister Afghanistans Ershad Ahmadi twitterte optimistisch, dass die Wahl die Ideologie der Taliban überflüssig mache: 

Unsere heutige Wahl steht für das Ende der Taliban und ihrer hohlen Darstellung. Heute haben wir unsere demokratische Ordnung auf ewig immunisiert. Bravo an die nationalen Sicherheitskräfte und die unabhängige Wahlkommission!

Die Sicherheit am Tag der Wahlen

Landesweite Sicherheitsmaßnahmen wurden unter höchster Sicherheitsstufe durchgeführt, um reibungslose und sichere Wahlen zu gewährleisten. In der Hauptstadt fanden keine Angriffe statt. Aber aus anderen Provinzen wurden Zwischenfälle gemeldet, bei denen 20 Menschen ums Leben kamen und 43 verletzt wurden. An die Wahlen 2009 dagegen erinnert man sich zurück als “einen der gewaltsamsten Tage, die Afghanisten seit 2001 erlebt hat” so die Organisation Human Rights Watch. Laut Angaben der NATO fanden damals bei den Wahlen über 400 Anschläge statt. 

Dieses Jahr wurden Kontrollpunkte der Polizei errichtet und jeder Mann, jede Frau und jedes Kind wurden vor den Wahllokalen durchsucht. Der Sprecher des afghanischen Innenministeriums Sediq Sediqqi schrieb über Twitter:

Ein sicheres Kabul ist das Resultat der harten Arbeit der nationalen Sicherheitskräfte, insbesondere der afghanischen Nationalpolizei. Afghanen können nun getrost ihre Stimme abgeben.

Saad Mohseni, Vorstandsvorsitzender der größten Medien-Unternehmensgruppe im Land, lobte die nationalen Sicherheitskräfte für einen sicheren Ablauf des Wahltags und twitterte: 

Die wahren Gewinner waren gestern die nationalen Sicherheitskräfte… Danke an die afghanische Nationalarmee.

 Ajmal Stanikzai fügt hinzu: 

Entgegen dem allgemeinen Glauben haben die nationalen Sicherheitskräfte es fertig gebracht, erfolgreich für Sicherheit bei den afghanischen Wahlen 2014 zu sorgen.

Abdul Hais Twitternachricht weist auf die markanten Unterschiede zwischen den afghanischen Wahlen 2014 und den Wahlen im benachbarten Pakistan im Jahr 2013 hin:

Unterschied zwischen den pakistanischen und den afghanischen Wahlen: 2013 haben bei den pakistanischen Wahlen Kugeln die Stimmen geschlagen, heute haben bei den afghanischen Wahlen Stimmen Kugeln geschlagen.

Beschwerden am Wahltag

Trotz einer lückenhaften Versorgung des Landes mit Internetzugängen haben Afghanen aus ganz Afghanistan zu Wahlthemen und Vorkommnissen wie Wahlbetrug, so sie denn darauf gestoßen waren, getwittert. Das ist neu bei den afghanischen Wahlen. Ein heiß diskutiertes Thema war, dass schon bald Stimmzettel ausgingen. Wahlhelfer und Wähler meldeten, dass eine große Zahl von Menschen die Wahllokale verließen, nachdem sie stundenlang gewartet hatten.

Daud Qarizadah berichtet:  

In einigen Gegenden sind den Wahllokalen wegen der hohen Beteiligung an den afghanischen Wahlen die Stimmzettel ausgegangen, sagen Wähler.

 Einige gehen sogar davon aus, dass das System hatte: 

Habe mit einem Freund in Kabul gesprochen. Im Westen der Stadt gab es in Wahllokalen nicht mehr genug Stimmzettel. Verärgerte Wähler rufen: Nein zu Wahlbetrug.

Vorläufige Ergebnisse

Die Stimmauszählung hat begonnen und die vorläufigen Ergebnisse der Präsidentschaftswahl werden im Laufe des Monats bekannt gegeben. Gewinnt keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit der Stimmen für sich, wird es zwischen den beiden Spitzenkandidaten im Mai zu einer Stichwahl kommen. Die Ergebnisse der Provinzratswahlen werden ebenfalls im Mai veröffentlicht, so der Zeitplan der unabhängigen Wahlkommission. 

Die Afghanen erwarten voller Unruhe jede Auskunft bezüglich des Wahlausgangs. Nafees Takar schreibt: 

Bisland keine offiziellen (nicht einmal inoffizielle) Ergebnisse der afghanischen Wahlen. Was man hört sind Schätzungen oder Teilergebnisse einiger weniger Wahllokale.

Der Medienmogul Saad Mohseni brennt darauf, die Wahlergebnisse zu erfahren. Er fragte bei der Wahlkommission nach, erhielt jedoch keine konkrete Antwort:

Nach Rücksprache mit der unabhängigen Wahlkommission ist es praktisch unmöglich, die Ergebnisse dieser Wahlen (jetzt schon) abzuschätzen. Das ist reine Spekulation.

Der Präsidentschaftskandidat Ashraf Ghani [de] gab etwas besonders Kompetentes von sich und beanspruchte für sich, die Eintrittskarte für die Spitzenposition bereits gelöst zu haben. Nach seiner Aussage wird er gefolgt von Abdullah Abdullah [de] und dem Verbündeten des derzeitigen Amtsinhabers Hamid Karzais Zalmay Rassoul [de] an dritter Stelle. Von den beiden hat bislang keiner eine Erklärung abgegeben.

Erste Teilergebnisse zeigen, dass wir führen.

In einigen Regionen scheint Abdullah Abdullah in Führung zu liegen. Laut Ahmad Shjua, dem Autor des Blogs Afghanistan Analysis, habe Abdullah es mit Hilfe seines Vizepräsidentschaftskandidaten Haji Mohammad Mohaqeq geschafft, Stimmen in Regionen zu sammeln, in denen Hazara leben.

Abgesehen von einigen Orten wie der Provinz Daikondi, aus der Danish stammt, scheint Mohaqeq die Stimmen der Hazara für Abdullah eingestrichen zu haben. Sarabi (Präsidentschaftskandidat) ist abgeschlagener Zweiter.

Margherita Stancati, eine Reporterin für das Wall Street Journal in Kabul, berichtete von den Ergebnissen im Westen Kabuls, der ebenfalls hauptsächlich von Hazara bewohnt ist.

Die Ergebnisse, die an mehreren Wahllokalen in Westkabul angeschlagen sind, zeigen Abdullah in Führung, gefolgt von Rassoul und Ghani an dritter Stelle.

Afghanische Wähler sind ihrer Verantwortung als Bürger gerecht geworden und Sicherheitskräfte gewährleisteten einen vergleichsweise friedlichen Wahltag trotz der Befürchtungen, ihre Kapazitäten würden dazu nicht ausreichen. Afghanen sind nun auf halbem Wege zu ihrer ersten demokratischen Machtübergabe. Es ist die Pflicht der unabhängigen Wahlkommission eine transparente und objektive Stimmauswertung vor einer möglichen Stichwahl sicherzustellen.

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