#FreeSavchenko: Hungerstreik der ukrainischen Pilotin im russischen Gefängnis geht in die 9. Woche

An anonymous image of Nadiya Savchenko circulated online.

Ein anonymes Photo von Nadiya Savchenko zirkuliert online.

Die ukrainische Militärpilotin Nadiya Savchenko, eine der ersten Frauen, die sich der Luftwaffe der Ukraine angeschlossen hatten, wurde im Juni 2014 in Donbad von einer Gruppe Kämpfern festgenommen, die durch Russland unterstützt werden. Später in Russland wurde sie der Komplizenschaft angeklagt im Zusammenhang mit der Tötung zweier russischer Journalisten während eines Militäreinsatzes.

Seit ihrer Verhaftung haben ukrainische und internationale Aktivisten zahlreiche Kampagnen zu ihrer Verteidigung gestartet. Die 33-jährige wurde sogar in Abwesenheit ins ukrainische Parlament gewählt. Savchenko selbst begann am 13. Dezember 2014 einen Hungerstreik, als Protest gegen das, was sie als eine Inhaftierung ohne rechtliche Grundlage betrachtet.

Dennoch hat keine dieser Maßnahmen ihre Freilassung auch nur etwas näher gebracht. Da nun ihre neunte Woche ohne Essen beginnt, wächst die Besorgnis über ihre Gesundheit. Ihr Schicksal bleibt noch ungewiss.

Ein am 19. Juni auf genommenes Video von einem Verhör legt die Vermutung nahe, dass Savchenko zuerst von pro-russischen Rebellen in der ukrainischen Region Luhansk verhaftet worden war. Sie erschien am 3. Juli vor dem russischen Gericht und ist seitdem in Haft. Ihr wird zur Last gelegt, dem ukrainischen Militär geholfen zu haben, Angriffe auszuführen, die zwei russische Journalisten in Donbas töteten.

Ihr Anwalt erklärte, dass sie gefangen genommen wurde, noch bevor die Journalisten starben und dass die Anklage erst später eingereicht worden sei. Rechnungsdaten von Savchenko’s Mobiltelefon scheinen ihr Alibi zu unterstützen.

Monate nach ihrer Verhaftung wurde Savchenko als Mitglied des ukrainischen Parlaments gewählt und vereidigt. Sie verließ daraufhin die ukrainische Armee und wurde im Dezember als Mitglied der ukrainischen Delegation der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (Parliamentary Assembly of the Council of Europe, PACE) bestätigt. Zugleich wurde ihr internationale diplomatische Immunität anerkannt.

Obwohl Hoffnung besteht, dass die Anklage gegen sie aufgrund ihres Alibis sowie des weltweit ausgeübten Drucks fallen gelassen wird, haben die Behörden im Januar eine erneute Klage gegen sie eingereicht. Diesmal wird ihr vorgeworfen, angeblich illegal die russische Grenze überquert zu haben.

Viele Beobachter merkten an, dass die Ankläger es versäumt hätten, Savchenko's Gefangennahme durch die militante Gruppe bei Donbas zu erwähnen und meldeten Zweifel an hinsichtlich der Vorstellung, sie könnte von denen, die sie gefangen genommen hatten, frei gelassen worden sein und ‘freiwillig’ als Flüchtling die Grenze nach Russland überquert haben.

Savchenko, in der Ukraine als Nationalheldin gefeiert, wurde mit zu einem Symbol sowohl für die Ungerechtigkeiten, die seitens des Kremls gegenüber der Ukraine begangen werden, als auch für den tapferen Widerstand des Landes. In Russland wiederum wird Savchenko von den Medien verteufelt, indem sie in zunehmend groben Begriffen wie “Satan's Tochter” oder “Die Tötungsmaschine im Rock” beschrieben wird.

Einer der Anwälte Savchenkos, Nikolai Polozov, sieht einen Zusammenhang zwischen der erneuten Anklage gegen Nadiya durch die Staatsanwaltschaft im Oktober und ihrem hoch angesehenen Status innerhalb der Ukraine:

Die Logik der russischen Behörden funktioniert folgendermaßen: Aha, sie ist also die Heldin der Ukraine, soso, ihr habt sie als [Parlamentsmitglied] gewählt – na gut, hier habt ihr ein neues Verfahren.

A screencap of Savchenko's interrogation by pro-Russian militants in Ukraine. Video published on YouTube on June 19, 2014, by user aigu guillotine.

Ein Bildschirmabdruck von Savchenko's Verhör durch pro-russische Milizen in der Ukraine. Video publiziert auf YouTube am 19. Juni 2014, durch Nutzer aigu guillotine.

Kampagnen für ihre Freilassung

Savchenko hat jedoch auch Unterstützung von russischer Seite. Das russische Zentrum für Menschenrechte “Memorial” hat Savchenko als politische Gefangene anerkannt, russische Journalisten haben begonnen für ihre Freilassung Unterschriften zu sammeln und mehrere Leute demonstrierten in Moskau zu ihrer Verteidigung.

Menschenrechtsaktivisten und die ukrainische Regierung haben wiederholt an die russische Regierung appelliert, Savchenko freizulassen. Dem schließen sich internationale Institutionen, unter anderem das Europaparlament und PACE, an.

Aktivisten sowohl innerhalb der Ukraine als auch außerhalb davon, organisierten mindestens zwei beachtliche Kampagnen in den sozialen Medien, die Savchenko's Freilassung zum Ziel haben. Die erste Kampagne nutzte den Hashtag #SaveOurGirl und produzierte weltweit über 15,000 Tweets. Die Zweite verwendete den Hashtag #FreeSavchenko und verzeichnete die meiste Aktivität am Tag von PACE's Resolution: 400,000 Tweets aus 33 Ländern weltweit.

An infographic by EuromaidanPR portraying the number of tweets and location of rallies demanding the release of Nadiya Savchenko during January 26 campaign.

Eine Infografik von EuromaidanPR mit der Anzahl an Tweets und den Orten der Rallies während der Kampagne am 26. Januar, die die Freilassung von Nadiya Savchenko forderte.

Der Hungerstreik

Am 13. Dezember 2014 trat Savchenko in den Hungerstreik. Ungefähr einen Monat später schrieb sie einen offenen Brief, in dem sie ihre Entscheidung erklärte. Dieser Brief zirkulierte in weiten Kreisen der sozialen Medien:

Well, a person who was born free and not a slave in captivity cannot live in prison. Especially if he or she is innocent. […] I have given my word: ‘Until the day I return to Ukraine, or until the last day of my life in Russia!’ and I will not back down, otherwise what value would my words have?!

Nun, eine Person, die frei geboren wurde und nicht als Sklavin in Gefangenschaft, kann nicht im Gefängnis leben. Schon gar nicht, wenn sie unschuldig ist. […] Ich habe geschworen: ‘Bis zu dem Tag, an dem ich in die Ukraine zurück kehre, oder bis zum letzten Tag meines Lebens in Russland!’ und ich werde nicht nachgeben, denn welchen Wert hätten meine Worte sonst?!

Der Twitter account @GlasnotGone, der als Appell für Savchenko's Freiheit eingerichtet worden war, tweetete sowohl eine Ukrainische als auch eine ins Englische übersetzte Version ihres Briefes an internationale Medien:

Wenn Sie einen Grund suchen, um #FreeSavchenko zu tweeten, dann ist hier einer; Nadiya's Brief vom 12. Jan. @AP @Reuters @cathynewman pic.twitter.com/0hinuurLtl

Ihre Anwälte nutzen die sozialen Medien, um Aktuelles zu ihrer angeschlagenen Gesundheit zu publizieren. Am 23. Januar berichtete Mark Feygin auf Twitter:

Ich komme gerade von Nadezhda Savchenko's SIZO-6 [Gefängnis]). Sie setzt ihren Hungerstreik fort und wird nicht damit aufhören. Gefängnisärzte haben mir gesagt, dass niemand vor ihr jemals einen Hungerstreik länger als 40 Tage lang ausgehalten hat.

Am 2. Februar teilte ein weiterer Anwalt, Ilya Novikov, eine von Hand gefertigte Skizze darüber, wie Savchenko an diesem Tag aussah:

Nadya sagt Hallo an alle. Sie sieht heute sehr düster aus, doch glaubt diesem Bild nicht, es liegt nur an meinem [fehlenden Zeichentalent]. Die Farben und Bleistiftschattierungen sind alle von ihr.

In Anspielung auf die wohl bekannten Parallelen zwischen Savchenko's Situation (ihr Vorname bedeutet ‘Hoffnung’ auf ukrainisch) zur Lage der Ukraine selbst, fasst der Dichter, Schriftsteller und Übersetzer Andrij Bondar die Besorgnis vieler Ukrainer am 4. Februar in einem Facebook Post wie folgt zusammen:

Неймовірно, якими іноді надіями себе гріє людина. Надія Савченко, яка перетнула нещодавно позначку в 50 днів, повільно вмирає. Медики знають, як відбуваються оці так звані страшні “незворотні процеси”, як атрофуються та відмовляють органи, які жахливі збої відбуваються в організмі, гормони, кров, шлунок, печінка, селезінка, кістки…
[…]
І страшно подумати, що ще сьогодні, ще завтра, навіть через 10 днів щось можна змінити. Але вже, наприклад, числа 15 чи 20 лютого може бути пізно, фатально пізно.

Савченко теж сам-на-сам із байдужістю системи. Тільки тепер за історією Надії Савченко спостерігає весь світ. І нічого не може вдіяти. Нічого. Найточніша метафора України – ця смілива і принципова жінка. Надія вмирає. Надія ще не вмерла.

Es ist unglaublich, an welchen Hoffnungen wir uns manchmal festhalten, um uns zu trösten. Nadiya Savchenko, die vor kurzem den 50. Tag-Meilenstein [eines Hungerstreiks] passiert hat, stirbt nun langsam weg. Die Ärzte wissen, wie die so genannten “irreversiblen Prozesse” statt finden, wie die Atrophie der Körperorgane einsetzt und welche qualvollen Zusammenbrüche dann im menschlichen Organismus geschehen: Hormone, Blut, der Magen, die Leber, Milz, Knochen…
[…]
Und es ist entsetzlich, sich vorzustellen, dass sich heute, morgen, oder sogar 10 Tage von hier etwas verändern könnte. Doch bereits am, sagen wir, 15. oder 20. Februar wäre es zu spät, fatal zu spät.

Savchenko kämpft alleine gegen die Gleichgültigkeit des Systems. Doch die ganze Welt sieht ihr zu. Und es gibt nichts, was sie tun kann. Nichts. Die meist treffende Metapher für die Ukraine ist diese tapfere und prinzipientreue Frau. Nadiya liegt im Sterben. Nadiya lebt noch.

2 Kommentare

  • Rainer Schilling

    Das Schicksal von Frau Savchenko berührt uns sehr.

    Wir hoffen das Herr Putin, bekannt auch für sein jetziges faires eintreten in der
    Donbas- Auseinandersetzung zwischen der Ukraine und den Seperatisten,
    auch Frau Savchenko im Zuge des anstehenden Gefangenenaustausch
    (Minsker Abkommen 2) den ukrainischen Behörden überstellt.

    Alles Gute für alle Gefangenen und die Hoffnung auf eine baldigen Beilegung des Konfliktes zwischen Rußland der Ukraine und der westlichen Welt.

  • Update: Es hat lange gedauert, doch heute (25.05.2016) melden diverse Medien, dass Nadya Savchenko endlich freigelassen wurde! Im Rahmen eines Gefangenenaustausches zwischen Russland und der Ukraine. Sie ist nun wieder in der Ukraine.
    U.a. berichtet auf Deutsch Die Zeit: https://tinyurl.com/juhv3vx

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