Was Russen aus der NYT-Gastkolumne Putins zu Syrien herauslesen

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Vladimir Putin, 16 July 2013, Kremlin press service, public domain.

Wladimir Putin, 16. Juli 2013, Pressedienst des Kreml, lizenzfrei.

Es passiert nicht jeden Tag, dass der russische Präsident zur Feder greift und eine Stellungnahme für die New York Times verfasst, aber gestern ist das geschehen. Und prompt verlor die amerikanische Blogosphäre ihren kollektiven Verstand als twitternde Journalisten und überraschte Durchschnittsinternetnutzer sich in dem Bemühen zu reagieren gegenseitig über die Füße stolperten. Unmittelbar nach den Kommunal- und Regionalwahlen scheinen die meisten russischen Blogger zu sehr mit innenpolitischen Fragen beschäftigt zu sein, um sich für das zu interessieren, was Putin den Amerikanern zu sagen hat.

Aber nicht alle haben diese Begebenheit übersehen und viele RuNet-Nutzer haben das Angebot des Präsidenten als eine Zurschaustellung der russischen moralischen Authorität in der ganzen Welt, die nötig war, bejubelt.

Innerhalb weniger Stunden nach der Veröffentlichung des Beitrags auf der Internetseite der New York Times, verfasste das Online-Übersetzungsportal inoSMI.ru eine russische Version [ru] des Artikels von Putin. Zur Zeit des Schreibens dieses Beitrags, gibt es bereits 476 Kommentare zu der Übersetzung, mehrheitlich positive.

Der Nutzer Skuter schreibt beispielsweise:

Правильно сделал ВВП. В большинстве амеры понимают и признают всё это. Пусть теперь не только амеры знают, но и Обама знает, что амеры знают. Думаю лишним не будет. А с БОМБАМБАМЫ пузырь вискаря Путину, за сохранение лица…а может и жизни…

Putin [ВВП ist in diesem Fall ein Akronym für Влади́мир Влади́мирович Пу́тин, den vollen Namen Putins] hat genau das Richtige getan. Die meisten Amis verstehen und respektieren das. Jetzt lasst es aber nicht nur die Amis verstehen, sondern lasst Obama verstehen, was die Amis bereits wissen. Ich denke, das wird nicht zu viel sein. Und BombObama schuldet Putin eine Pulle Whiskey dafür, dass er nicht das Gesicht verloren hat… und womöglich sein Leben…

Ein Nutzer mit dem Namen zapravdu schreibt mit einem Anflug von 11. September-Verschwörungstheorie:

Великолепное обращение, вот еще бы американский народ его услышал. Потому-как их в их сми постоянно идет прямо-противоположный посыл. Да что говорить, даже о трагедии 9/11 многие имеют лишь поверхностную инфу.

Ein brillanter Aufruf, und immerhin haben das die Amerikaner vernommen, denn ihre eigenen Medien vermitteln ihnen ja permanent das Gegenteil. Ja sogar über die Tragödie vom 11. September haben die meisten von ihnen nur oberflächliche Infos.

Natürlich wundert sich nicht jeder über Putins Eloquenz. Der Nutzer namik83 stellt Russlands Haltung, nicht in Syrien zu intervenieren, seiner Bereitschaft gegenüber, Truppen in Südossetien und 2008 in Georgien einzusetzen:

очень красивые слова..но когда россия бомбила грузию где было то санкция оон о котором сейчас говорят так много

Sehr schöne Worte… aber als Russland Georgien bombadiert hat, wo waren da die Sanktionen der VN, über die jetzt alle so viel reden?

Die Empfindungen der LGBT [Abkürzung für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transsexuelle] wiedergebend (deren Geduld mit der russischen Regierung nach der jüngsten Welle schwulenfeindlicher Gesetze bereits überstrapaziert ist), fragt Anton Krasovsky (ein schwuler, russischer Journalist, der nach seinem Coming-Out letztes Jahr seinen Job verloren hat) auf Facebook, ob Putin Schwule im Sinne hatte, als er schrieb “Gott schuf uns alle gleich”.

Auf Twitter gibt es Hinweise auf ein Botnetz, das Putins Gastkolumne hochleben lässt und unter dem Hashtag “#PutinForPeace” Lob twittert. Viele dieser verdächtigen Benutzerkonten, wie das von Vasilii Kuharev, verfassen unregelmäßig Beiträge und benutzen dabei üblicherweise Hashtags, die mit Kampagnen zur Unterstützung des Kremls in Verbindung stehen. (Das Benutzerkonto von Mr. Kukarev war beispielsweise seit Juli 2013 nur vier Mal aktiv, einmal Putin rühmend [ru] und dreimal prominente Mitglieder der russischen Opposition kritisierend, dabei immer unter Verwendung verdächtiger Hashtags.)

Falls die russischen Behörden hinter dem Bemühen stecken, Positivwerbung für Putins Beitrag in der New York Times zu machen (und ihn als Sieg der Öffentlichkeitsarbeit über das Weiße Haus verpacken), so ist das Twitter-Botnet doch ein zweifellos primitiver Versuch. Die Bots sind aber nicht die einzigen im russischen Internet, die eine Geschichte in diese Richtung spinnen.

Stanislav Apetian, alias Politrash, ist ein Kreml-freundlicher Blogger, der sich heute ebenfalls zu dem Artikel des Präsidenten in der New York Times einschaltet. Apetian hat Dutzende von positiven Reaktionen (als auch einige wenige negative) gesammelt, die von beliebigen Amerikanern auf Facebook verfasst worden waren, hat sie mit Hilfe eines Freundes ins Russische übersetzt und sie allesamt bei LiveJournal veröffentlicht [ru]. Apetians Arbeit vermittelt dieselbe Geisteshaltung, die die #PutinForPeace-Kampagne propagiert (Stolz auf den offensichtlichen – und zugegebenermaßen seltenen – Schlag der Öffentlichkeitsarbeit Russlands), ohne die Verlogenheit roboterartiger Retweets [Weiterverbreiten abgesendeter Twitter-Nachrichten].

Paradoxerweise scheint es, dass die effektivste Strategie – eine positive Wendung für Putins Artikel zu erzeugen – die Strategie ist, die sich auf die amerikanischen Netzbürger verlässt – nicht die russischen.

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