Völkermordprozess in Guatemala für ungültig erklärt

Nach fünf Wochen voller erschütternder Aussagen von Überlebenden und Zeugen von Massakern, gewaltsam verursachtem Verschwinden und Vergewaltigungen wurden alle Aussagen nun für ungültig erklärt und der viel erwartete und beobachtete Völkermordprozess in Guatemala annuliert.

Efraín Ríos Montt, dem Ex-Diktator des Landes, der von 1982-83 Präsident von Guatemala war, und seinem damaligen militärischem Geheimdienstchef wird vorgeworfen [en], während des guatemaltekischenBürgerkriegs ein Massaker an 1.700 Angehörigen der Maya-Volksgruppe der Ixil verübt zu haben.

Die Opfer des Bürgerkriegs in Guatemala mussten 30 Jahre lang auf Gerechtigkeit warten und es dauerte ganze zwölf Jahre bis dieser Prozess überhaupt stattfinden konnte. Nun wird befürchtet, dass die Angeklagten längst tot sind, wenn der neue Prozess beginnen kann. Der Investigativjournalist Allan Nairn schreibt in seinem Blog [en]:

Dutzende Überlebende des Massakers an den Mayas riskierten ihr Leben, um vor Gericht auszusagen. Aber nun wurden alle seither erhobenen Beweise auf Anordnung von oben für nichtig erklärt.

Am 18. April 2013 annulierte Carol Patricia Flores, Richterin des Gerichts der ersten Instanz den Prozess aufgrund von Verfahrensfehlern.”

Richterin Patricia Flores sagte in Guatemala-Stadt, dass die obersten Gerichte des Landes entschieden hätten, das Verfahren auszusetzen, da sie selbst fälschlicherweise von dem Fall abgezogen worden war. Prozessbeobachter und -beteiligte werteten die Entscheidung als einen Schlag ins Gesicht der Opfer.

Verfahrensfehler im Prozess

Rios Montt wurde im Januar 2012 von Richterin Flores angeklagt. Diese wurde danach jedoch wegen ihrer Beteiligung an einem anderen Verfahren gegen Rios Montt vom Prozess abgezogen.

In der letzten Woche geriet die Richterin aber wieder in den Fokus der Anwälte von Rios Montt [en]. Diese argumentierten, dass der aktuelle Prozess aufgrund dieser Verfahrensfehler annuliert werden müsse. Am Mittwoch, dem 17. April stellten die Anwälte der Verteidigung einen Antrag auf Annulierung des Prozessverlaufs.

Einen Tag später entschied Richterin Flores, den Prozess wieder auf den Ermittlungsstand zurückzusetzen. Damit kann nun wieder Einspruch eingelegt werden und alle bereits vor Gericht gehörten Aussagen von Zeugen und Experten müssen erneut aufgenommen werden.

Der Staatsanwalt Julio Prado glaubt jedoch, dass die Anweisung des Verfassungsgerichts vorsah, die seither erhobenen Beweise zuzulassen [es] und den Fall lediglich an das ursprüngliche Gericht zurückzugeben, das den Prozess weiterführen sollte.

‘Prozess wurde von Drohungen und Gewalt überschattet’

Zwei Tage zuvor hatten prominente Regierungsmitglieder und Unterzeichner der Friedensverträge, die den Bürgerkrieg beendeten, eine Erklärung veröffentlicht, in der sie ihre Befürchtung zum Ausdruck brachten, dass der Prozess den Friedensprozess in Guatemala bedrohen und das Land spalten könnte [en].

Präsident Perez Molina, der durch die Aussage eines Zeugen ebenfalls in den Prozess involviert wurde, pflichtete dieser Erklärung bei. Molina ist ein ehemaliger Armeegeneral und Gründer der Kaibil-Schule, einem Ausbildungscamp für Spezialeinheiten des Militärs, deren Praktiken der Folter gleichkommen [en].

Die Anklage hatte unter anderem auch den Investigativjournalisten Allan Nairn als Zeugen vorgeladen, der den heutigen Präsidenten Perez Molina 1983 in der Ixil-Region interviewt hatte. Vor Kurzem hat Nairn einen persönlichen Bericht darüber geschrieben, “wurde jedoch gebeten, diesen erst zu nach der Urteilsverkündung zu veröffentlichen.” Diesen Bericht hat er nun in seinem Blog als “Insiderbericht, wie der derzeitige guatemaltekische Präsident und Androhungen von Gewalt den Prozess zerstörten” veröffentlicht:

Es wäre falsch, diesen Prozess den Machthabern in Guatemala anzurechnen.

Er wurde ihnen vielmehr vom Volk aufgezwungen. Das letzte, was die Machthaber wollen, ist Gerechtigkeit.

Aufgrund des großen Drucks haben sie sich jedoch darauf einlassen müssen und sie glaubten, dass sie ihre eigene Haut retten könnten, indem sie Rios Montt opfern.

Ich sollte im Prozess gegen Rios Montt aussagen und stand auf der Liste der Zeugen. Meine Aussage war vorläufig für Montag, den 15. April geplant. In letzter Minute wurde ich jedoch wieder ausgeladen, vor Gericht auszusagen, um “zu verhindern, dass der aktuelle Präsident [Guatemalas] noch weiter mit dem Fall in Verbindung gebracht würde.

Die Reaktionen auf die Entscheidung des Gerichts konnte man auch in den sozialen Netzwerken verfolgen. Das International Center for Transitional Justice (@theICTJ) berichtete unter dem Hashtag #GenocideGT:

Unter dem selben Hashtag schrieb Kirsten Weld, Professorin für Lateinamerikanische Geschichte (@kirstenweld):

@kirstenweld: Ich denke, die Zeugenaussagen haben uns alle inspiriert. Wir haben vergessen, wie teuflisch und clever das Militär ist. #GenocideGT

Die Menschenrechtsorganisation Network in Solidarity with the People of Guatemala (@NISGUA_Guate) berichtete über die Reaktion von Marilena Bustamante, der Schwester von Emil Bustamante [es], einem der Männer, die während des Krieges verschwanden:

@NISGUA_Guate: Als das Gericht den Prozess vertagt, schreit Frau Bustamante “UNRECHT!” Andere anwesende Zuschauer rufen, “erschießt sie doch”

Cultural Survival (@CSORG) zitierte die Dokumentarfilmerin Pamela Yates:

@CSORG: “Ich bin schockiert, weil sie schon so weit gekommen waren. Dass das Verfahren jetzt gestoppt wird, ist ein Schock. Und wahrscheinlich auch illegal.”—@pameladyates

Die Journalistin Xeni Jardin (@xeni), die den Prozess für Boing Boing beobachtet hat, fügte hinzu:

@xeni: “Diese Entscheidung ist ein Schlag ins Gesicht der Opfer.” Sondertribunal will Rechtsmittel gegen die Entscheidung einlegen.

Später berichtete sie:

@xeni: Vor dem Obersten Gerichtshof Guatemalas findet gerade eine Mahnwache bei Kerzenlicht statt. Sie wird vom Volk der Ixil angeführt.

Obwohl im Moment noch unsicher ist, wie es mit dem Prozess weitergeht, melden sich die Guatemalteken in den sozialen Netzwerken zu Wort. Unter dem Hashtag #sihubogenocidio (Ja, es war Genozid) äußern sie ihre Meinung und organisieren Demonstrationen im Netz und offline.

Ixil-Frauen verfolgen den Prozess. Foto von James Rodriguez Mimundo.org

Ixil-Frauen verfolgen den Prozess.
Foto von James Rodriguez Mimundo.org Weitere Fotos hier.

Die kommenden Tage werden entscheidend für die Justiz und Strafverfolgung in Guatemala und im Ausland sein.

Die Chronologie des Prozesses und der Aussagen ist hier [en] verfügbar und eine vollständige Chronologie der Ereignisse und des langen Kampfes der Opfer für Gerechtigkeit ist hier [en] verfügbar.

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