Portugal: “Eine Idee kann man nicht räumen”

Dieser Bericht ist Teil unseres Dossiers über Europa in der Krise.

Die gewaltsamegewaltsame Räumung eines unabhängigen Gemeindezentrums in Porto durch die Polizei am 19. April löste eine Welle der Solidarität aus, jenseits der Grenzen von Fontinha, einem seit Jahren in Vergessenheit geratenen ehemaligen Viertel der Arbeiterklasse.

Nach der Ankunft von fünfzehn Polizeiautos mit maskierten und bewaffneten Polizisten, die das Projekt und die Schule räumten (drei Teilnehmer wurden festgenommen und fünf wurden verletzt), alles Material in dem Gebäude zerstörten (darunter Bücher, Computer und Möbel), um am Ende Türen und Fenster zu vernageln, begaben sich ca. 300 Menschen in Porto auf die Strassen und mehrere Dutzende in Lissabon.

Educational materials and furniture destroyed in the school yard. Photo shared by Antonio Serginho on Facebook.

Zerstörte Lehrmittel und Möbel im Schulhof vor der Ankunft der Müllabfuhr. Die Fenster und Türen wurden später vernagelt. Foto von Antonio Serginho auf Facebook.

Die Vorfälle wurden im Fernsehen verfolgt und die sozialen Medien brummten mit Reaktionen; die hashtags #Fontinha und #ocupai waren Trending Topics bei Twitter in Portugal.

Bauen auf einer Idee

Es.Col.A (Schule) [ein Acronym für eigenverwalteter kollektiver Raum, pt] gegründet im April 2011 von einer Gruppe von Bürgern die eine staatliche Schule, die von der Stadt Porto seit 2006 aufgegeben wurde, besetzten. Der Journalist Nuno Ramos de Almeida berichtete [pt] am 20. April, dass mehr als 25.000 Gebäude in der Stadt leer stehen (ungefähr eines von fünf), wie hier in dieser Fotoreportage illustriert wird – viele, die unter der Verantwortung der Stadtverwaltung stehen.

Unter dem Slogan “Freie Räume, kreative Alternativen”, beabsichtigte das Kollektiv mit Hilfe von After-School-Klassen, Gemeinschaftsessen und Freizeitaktivitäten (von Yoga, Musik und Capoeira, bis zu Film und Debatten), wieder Leben in das unbenutzte Gebäude zu bringen. Alles basierend auf den Prinzipien von Eigenorganisation, freiem Zugang ohne Diskriminierung und direkter Demokratie und Konsens durch wöchentliche allgemeine Versammlungen.

Treppe von Es.Col.A. Foto von der Arbeitsgruppe für Kunst

Treppe von Es.Col.A. Foto von der Arbeitsgruppe für Kunst

Viva Filmes, ein Videoaktivismus-Kollektiv aus Porto produzierte eine Kurzdokumentation, in der die Gemeindemitglieder die Geschichte von Es.Col.A bis zur Räumung erzählen. (mit englischen Untertiteln):

Poster von Gui Castro Felga

Poster von Gui Castro Felga

Anfang Februar sendete die Stadtverwaltung einen Räumungsbefehl an Es.Col.A, mit der Aufforderung das Gebäude bis Ende März zu verlassen. Währendessen veröffentlichte Es.Col.A einen offenen Brief [pt] mit der Zurückweisung der Räumung. Mobilisierung startete unter dem Motto “Eine Idee kann man nicht zur Räumung zwingen” (was vielleicht von einem Artikel bei Global Voices über die “Bank of Ideas” in London im Januar 2012 inspiriert war).

Unter Druck schickte die Stadtverwaltung einen Vorschlag für einen neuen Vertrag, welcher auch zurückgewiesen wurde [pt], da es sich nur um eine Legitimation der Räumung des Kollektivs zu einem späteren Zeitpunkt handelte – angesetzt für Ende Juni.

Die Anweisungen der Stadtverwaltung waren klar: falls der Vertrag bis zum 2. April nicht unterschrieben war, würde Es.Col.A ab 13. April geräumt werden. An diesem Tag veröffentlichte Anonymous Portugal zur Unterstützung ein Video.

Die Ausweisung erfolgte schließlich morgens am 19. April, als ca 120 bewaffnete Polizisten das Gebäude stürmten [Video von einem Teilnehmer hier], und somit einem ganzen Jahr Arbeit der Gemeinde ein Ende setzten.

Die Stadtverwaltung erlies eine Stellungnahme [pt], in der sie die Notwendigkeit für die “Einhaltung der Gesetze” zitierte und die Besetzung der Schule durch die Kollektive als “beleidigend” und “gefährlich” bezeichnete, und somit die Behörden zwang “scharf durchzugreifen”. Die Stellungnahme erwähnte auch das Video und bezeichnete es als “bedrohend”, “Unruhen provozierend” und “Regierungsinstitutionen in Frage stellend”.

Unterdessen zeigte ein Hip-Hop Musikvideo, hergestellt von Jugendlichen in Fontinha die Aktivitäten, die in Es.Col.A stattgefunden hatten, die Ereignisse am 19. April, und die darauffolgenden Reaktionen in Porto:

Solidarität geht über Grenzen hinaus

Sympathie zeigt sich in vielen Städten in Portugal, wo Bürger via Facebook Demonstrationen organisierten, wie diese in Lissabon, stattgefunden am Abend des 19. April:

M31 (March31), ein europäisches Kollektiv gegen Kapitalismus mit Gruppen in 12 Ländern, rief auf Facebook dazu auf, sich für diese Sache überregional einzusetzen. Unterstützende Botschaften und in manchen Fällen Übersetzungen, kamen aus Spanien (durch das unabhängige Medienkollektiv La Haine [es]), Schweden (das anonyme Kollektiv @AnonOpsSweden), England (Socialist Workers Party via @tedsplitter), Australien (@OccupySydney), Griechenland [el], Polen [pl], und Deutschland, wo Indymedia einen offenen Brief an den Bürgermeister und die Stadtverwaltung in Porto publizierte.

Es.Col.A's Assembly, April 20. Foto von Renato Roque auf Facebook.

Es.Col.A's Assembly, April 20. Foto von Renato Roque auf Facebook.

Sie sollten wissen, dass das Projekt und dessen Aktivitäten von vielen Menschen ausserhalb von Portugal mit Sympathie verfolgt und unterstützt wird. (…)
Wir bitten Sie die Räumung rückgängig zu machen und die Schäden zu reparieren. Verhandeln Sie sofort mit dem Es.Col.A-Kollektiv um eine friedliche und sozial gerechte Lösung zu finden!

Eine Petition [pt] ist im Umlauf.
Ca. 200 Teilnehmer von Es.Col.A versammelten sich am 20. April , einem nationalen Feiertag, der für das Ende der Diktatur in Portugal steht und beschlossen das Gebäude erneut zu besetzen.

Dieser Bericht ist Teil unseres Dossiers über Europa in der Krise.

Janet Gunter wirkte an diesem Artikel mit und übersetzte Es.Col.As Dokumentation ins Englische.

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