Griechenland: Finanzkrise und Proteste gegen Sparpolitik – Was bisher geschah

Dieser Beitrag wurde von Jessica Dewald, Melda Gök, Alja Scheu und Dominik Strauß, Studierende des FTSK Germersheim, unter der Leitung von Nadine Scherr im Rahmen des Projektes „Global Voices“ übersetzt.

Dieser Bericht ist Teil unseres Dossiers über Europa in der Krise.

Nach anderthalb Jahren, die geprägt waren von verzweifelten Rettungsverhandlungen und Finanzspritzen des Internationalen Währungsfonds, der Europäischen Zentralbank und der Europäischen Union, führten die harten und sich zunehmend als unwirksam erweisenden Sparmaßnahmen [en], die der sozialistischen Regierung Griechenlands von der „Troika“ auferlegt wurden, zu heftigen Protesten. Während die Politik verzweifelt [en] nach Möglichkeiten sucht, mit denen die Europäische Union von der zunehmenden Verschuldung befreit werden könnte, spitzt sich das Drama um die europäische Staatsschuldenkrise, in deren Zentrum sich Griechenland derzeit befindet, immer mehr zu.

Eine „empörte“ Statue. Foto mit freundlicher Genehmigung des Multimediateams der „Empörten Bürger“ in Athen (Lizenznummer: CC BY-NC-ND 3.0).

Die griechische Bewegung der Aganaktismenoi, der „Empörten Bürger” [en], orientierte sich am „Arabischen Frühling“ sowie an der europäischen Revolutionsbewegung [en], deren Ursprung in Spanien [en] liegt. In Griechenland beschränken sich die Proteste zum Großteil auf Sitzstreiks auf öffentlichen Plätzen in Athen [el] und Thessaloniki [el]. Nachdem die griechische Polizei im Sommer mehrere Male gewaltsam [en] gegen die Demonstranten vorgegangen war, schien sich die Lage zunächst zu entspannen. Im September jedoch spitzte sich diese erneut zu. Grund hierfür war der Ärger des griechischen Volkes über eine weitere Reihe von Sparmaßnahmen, die als Ergebnis des EU-Sondergipfels im Juli [en] im Rahmen des Rettungspaketes für Griechenland beschlossen wurden.

Die Auswirkungen der Sparpolitik

Die Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland liegt bei über 40% [en], die Chancen auf einen Job im eigenen Land sind gering. Zusammen mit den fortwährenden Sparmaßnahmen führt dies nun zu einer Auswanderungswelle unter Griechenlands intelligentesten Jugendlichen. Dies stellt neben der durch Stellenabbau und erhöhtem Renteneintrittsalter hervorgerufenen Welle der Zwangsverrentung und dem freiwilligen Eintritt in den Ruhestand zahlreicher Griechen [en] einen weiteren Negativfaktor für die griechische Wirtschaft dar.

Bei der Sparpolitik als solche könnte es sich, so ein Experte der Vereinten Nationen im Juli, um einen Verstoß gegen die Menschenrechte [en] handeln. Die erbarmungslosen Sparmaßnahmen stellen eine große Belastung [en] im täglichen Leben der Griechen dar: Sozialleistungen werden gekürzt und selbst die Versorgung mit Grundgütern wird durch Mehrwertsteuererhöhungen, Gehalts-, Renten- und Leistungskürzungen erschwert. In einem kürzlich in der medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet“ veröffentlichten Artikel wird behauptet, dass die Finanzkrise auch negative Auswirkungen auf die Gesundheit [en] der griechischen Bevölkerung habe. Des Weiteren sollen die Selbstmord- und die Kriminalitätsrate [en] steigen.

Massenprotest der „Empörten Bürger“ in Athen. Foto via endiaferon, Copyright Demotix (29/05/2011).

Massenprotest der „Empörten Bürger“ in Athen. Foto via endiaferon, Copyright Demotix (29/05/2011).

Auch die kreativen Köpfe unter den Griechen sind von der Sparpolitik betroffen und nutzen Blogs und soziale Medien, um ihrem Ärger Luft zu machen. Ungeschönt beschreibt Constantina Delimitrou, Bloggerin, Autorin und Werbetexterin, das Leben mit der finanziellen Unsicherheit [el] und spricht ihren Mitbürgern aus der Seele:

Οι περισσότεροι είμαστε με μόνιμες τανάλιες στα στομάχια για το περισσότερο μέρος της ημέρας και της νύχτας. Ένα βλαμμένο συνοθύλευμα από φόβους, αγωνίες, εικόνες τρομακτικές που δε θες αλλά σου σφηνώνονται στο κεφάλι και δε σ’ αφήνουν να πάρεις ανάσα. [..] ακούς να ρωτάνε πόσα μακαρόνια να βάλουν στην άκρη για μια ώρα ανάγκης, πώς θα πάνε στη δουλειά χωρίς φράγκο και πόσο νερό άραγε να θέλει ένα μποστάνι στο μπαλκόνι. Και εκείνη η κυρία ένα βράδυ στο μετρό. Που έκλαιγε για δέκα ευρώ στο τηλέφωνο. Τα παιδιά της στο νοσοκομείο και δεν έβρισκε δέκα ευρώ να ταΐσει τα εγγόνια. Και αυτός που μιλούσε δεν είχε να της δώσει. Και δεν είχα ούτε εγώ. Αλλά και να ‘χα, πώς να πλησιάσεις τον άλλο να τον βοηθήσεις;

Die meisten von uns haben Tag und Nacht das Gefühl, als würde uns die Brust zugeschnürt. Ein dummes Wirrwarr aus Sorgen und Ängsten sowie schrecklichen Bildern, das sich in unseren Köpfen verankert und uns die Luft zum Atmen nimmt. […] Wie viele Spaghetti sollten für die ganz schlechten Tage auf die Seite gelegt werden? Wie soll man ohne Geld zur Arbeit kommen? Wie viel Wasser brauchen die Balkonpflanzen? Und diese Frau heute Abend in der U-Bahn, die am Telefon wegen 10 Euro weinte. Ihre Kinder waren im Krankenhaus und sie konnte keine 10 Euro auftreiben, um ihren Enkeln etwas zu essen zu kaufen. Ihr Gesprächspartner schien keine 10 Euro zu haben. Ich hatte auch keine. Und selbst wenn, wie geht man denn auf jemanden zu, um Hilfe anzubieten?

Athens „Empörte Bürger”' Generalversammlung, 29.5.2011. Foto via Cyberela, lizensiert CC BY-NC-ND 3.0

Die Webdesignerin Cyberela, die an einem chronischen Hämangiom erkrankt ist, berichtet trocken über ihre Perspektiven:

@Cyberela [el]: Φυσικά τις θεραπείες που κάνω τώρα δεν μπορει να μου τις πληρώσει η ασφάλιση. Ο κόσμος με αιμαγγειωμα είναι καταδικασμένος στην Ελλάδα.

@Cyberela [el]: Natürlich übernimmt meine Sozialversicherung die Kosten für meine Behandlungen nicht. Menschen mit Hämangiomen sind in Griechenland ihrem Schicksal überlassen.

Der Schauspieler Haris Attonis twitterte eine lakonische Bemerkung über Migration:

@hartonis [el]: Οι μισοί γνωστοί μου μετακόμισαν στο εξωτερικό. Οι άλλοι μισοί, μέσα τους.

@hartonis [el]: Die Hälfte meiner Freunde emigrierte ins Ausland. Die andere Hälfte ist innerlich emigriert.

Zusammenstöße zwischen Polizei und Demonstranten

Blinde Polizeigewalt verschärft den sozialen Druck. Die gravierendsten Vorfälle ereigneten sich in der Nacht vom 28. auf den 29. Juni auf dem Syntagma-Platz in Athen, als die Polizei mit beispielloser Gewalt gegen Demonstranten vorging, was von Menschenrechtsorganisationen, aufgrund des massiven Einsatzes von Tränengas, scharf kritisiert wurde [en]. Außerdem riefen sie die griechische Polizei dazu auf, den Einsatz unverhältnismäßiger Gewalt zu unterlassen [en].

Sitzstreiks der „Empörten Bürger“, die ohnehin schon weniger Teilnehmerzahlen aufgrund der Sommerferien hatten, wurden nachts von der Polizei aufgelöst. Berichten zu Folge sollen [el] in einigen Fällen gesetzliche Vorschriften eingeführt worden sein, um zukünftige Versammlungen zu unterbinden, wie es auch bei späteren Sitzstreiks in Spanien [en] und den USA geschah. Die traditionelle Eröffnungsrede des Ministerpräsidenten bei der Internationalen Handelsmesse in Thessaloniki im September wurde mit wütenden Protesten und Aufruhr begrüßt [en]. Während dort eine weitere Sondersteuer auf Immobilien angekündigt wurde, kam es auf dem Platz vor dem Messegebäude zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei, die mit einem Großaufgebot aufwartete.

Nutzung sozialer Medien

Protest auf dem Syntagma-Platz, 25.5.2011. Foto mit freundlicher Genehmigung der „Empörten Bürger“, Lizenznummer: CC BY-NC-ND 3.0

Protest auf dem Syntagma-Platz, 25.5.2011. Foto mit freundlicher Genehmigung der „Empörten Bürger“, Lizenznummer: CC BY-NC-ND 3.0

Seit den Ausschreitungen anlässlich der Tötung eines Minderjährigen durch Polizisten im Jahr 2008 [en] hat sich Twitter zu einer der Hauptplattformen des Bürgerjournalismus und aktivismus in Griechenland entwickelt. Mehrere Aktivisten nutzten Twitter-Anwendungen, um über die Proteste gegen die Sparmaßnahmen zu berichten, und schufen damit ein eindrucksvolles Werk.

Theodora Economides (@IrateGreek [en] auf Twitter) verwendete Chirpstory, um den Berichterstattern zu helfen, und berichtete über die meisten Hauptprotestveranstaltungen in Athen [en], während Antonis Gazakis (@gazakas [el] auf Twitter) täglich Livetweets über die Generalversammlung der „Empörten Bürger“ in Thessaloniki [el] auf Storify postete.

Myrto Orfanoudaki Simic sammelte Videos von den brutalen Polizeiübergriffen am 29. Juni [en]. In der Zwischenzeit haben 31.000 Facebook-Nutzer die Gruppe der „Empörten Bürger“ [el] und 5.000 Nutzer die Gruppe der „Empörten Bürger“ in Thessaloniki [el] geliked. Seit Anfang des Jahres 2009 haben dutzende Fotografen Fotoreportagen über die Proteste in Griechenland auf Demotix[en] veröffentlicht. Gleichzeitig wurden seit Beginn der Proteste tausende Fotos und dutzende Videos von Aktivisten und Bürgerjournalisten im Blog der Multimediagruppe der „Empörten Bürger“ [el] vom Syntagma-Platz [el] mittels einer Creative-Commons-Lizenz veröffentlicht.

Theodora startete auch scherzhaft denHashtag „#Handbuch für griechische Politiker“ [en], basierend auf Iyad El Baghdadi's „Handbuch für Tyrannen“ [en], um sich über die Ethik und Methoden von Politikern lustig zu machen. Die Parodie Angry Greeks vs. Angry Birds, entwickelt vom Entwicklerteam ToonPosers, erhielt 105.000 Klicks auf YouTube.

Verfolgen Sie den Twitter-Account (@GVEuropeCrisis [en]) unseres Dossiers Europe in Crisis [en], um täglich die neusten Informationen über die Auswirkungen der Staatsschuldenkrise auf Griechenland und andere europäische Länder zu erhalten.
Dieser Bericht ist Teil unseres Dossiers über Europa in der Krise.

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