Zusammenstösse zwischen Polizei und Studenten bei nicht autorisierter Demonstration

Während eines nicht autorisierten Protestmarsches in Chiles Hauptstadt Santiago kam es am Donnerstag, den 4. August 2011, zu Zusammenstößen zwischen einem verstärkten Polizeiaufgebot und hunderten chilenischer Studenten, die für eine komplette Neustrukturierung des Bildungssystems protestierten.

Die Studentenvereinigung Chiles (CONFECH) hatte im April, einen Monat nach Semesterbeginn, bundesweit zu Protesten aufgerufen. Die Studenten sind unzufrieden mit der beständig wachsenden Privatisierung der Bildungssysteme, welche unter der Diktatur Augusto Pinochets in den 1980er Jahren begonnen worden war.

Bisher endete jede Demonstration für Bildungsreform mit von Tränengas und Wasser aus Wasserwerfern durchnässten Protestierenden. Beim Marsch vom Donnerstag verhielt es sich ebenso, bis auf die Aussage einiger Politiker, dass die Gewalt gegen die Studenten dieses Mal eine Grenze überschritten habe.

Police use a "guanaco" water jet to disperse students. Image by Flickr user FabsY_ (CC BY-NC-SA 2.0).

Die Polizei benutzt einen "guanaco" oder "Wasserspucker" (Wasserkanone) um Studenten auseinander zu treiben. Image by Flickr user FabsY_ (CC BY-NC-SA 2.0).

Über eintausend Polizisten in gepanzerten Fahrzeugen, auf Pferden oder zu Fuß in kugelsicheren „Carabineros“ (Polizei-) Uniformen trieben die Studenten fort vom Präsidentenpalast. Mehrere U-Bahn-Eingänge wurden durch Metallzäune verschlossen.

Die Proteste sind an die Spitze von Santiagos beliebtesten Themen auf Twitter angestiegen, wo Studenten ihrer Frustration freien Lauf lassen mit hashtags wie #4deagosto (4. August), #laalamedaesnuestra (die Alameda gehört uns (Alameda heißt eine der Hauptstraßen Santiagos) und #camilasomostodos (wir sind alle Camila).

Der Online-Nachrichtendienst El Dínamo hat zwei Storify Berichte über die Reaktionen und Berichte von Anwohnern erstellt, die sich zum einen auf die Ereignisse in Santiago [es] konzentrieren und zum anderen auf die Proteste im ganzen Land [es].

Eder Rivas (@ederivas), tweetet um 1:08 p.m.:

En las protestas hay toda clase de animales: guanacos y carabineros. Sólo faltan militares y armamos un zoológico.

In diesen Protesten finden sich alle möglichen Tiere, guanacos (Wasserspucker) und Polizisten. Jetzt fehlt nur noch das Militär und wir haben den Zoo beisammen.

Chilenische Studenten nennen die gepanzerten Wasserwerfer der Polizei guacano, Name eines berüchtigten spuckenden Kamels.

Viele der Protestierenden blieben ruhig, aber einige – mit Kapuzenpullovern, Handschuhen und Gesichtsmasken vermummt – warfen Steine auf die Polizeifahrzeuge. Zwei Polizisten wurden verletzt. Die Polizei nahm 235 Personen in Gewahrsam, von insgesamt ungefähr 800 Studenten.

Tatsächlich hatten die Studenten um Erlaubnis gebeten, eine zweiteilige Demonstration zu veranstalten. Der erste Teil des Marsches war für Oberschüler und begann um 10 Uhr 30; CONFECH organisierte den zweiten Teil für 18 Uhr 30. Beide Demonstrationen wurden von den Autoritäten abgewiesen.

Innenminister Rodrigo Hinzpeter sagte am Mittwoch, dass er keinerlei neue Studentendemonstrationen auf der Straße in Richtung des Präsidentenpalastes, der Alameda, autorisieren würde. Als Begründung nannte er millionenschwere Sachschäden, Beschwerden von Unternehmen und versäumte Unterrichtszeit.

Unbenommen von Hinzpeters Aussagen nahmen die Studenten weiterhin von ihrem Verfassungsrecht auf Demonstrationsfreiheit Gebrauch. Artikel 19, Absatz 13, der chilenischen Verfassung garantiert das „Recht auf friedliche Vereinigung, ohne die Notwendigkeit vorheriger Erlaubnis und ohne Waffen“

Dazu im Gegensatz steht eine 1983 unter Augusto Pinochet erlassene Regelung, welche die Auflösung von Demonstrationen erlaubt, wenn diesie nicht im Vorfeld von den Autoritäten erlaubt wurden, d.h. in diesem Fall von Hinzpeter selber. Diese Regel erlaubt also der Regierung, Demonstrationen aufzulösen. Das „Equality Institute“ (etwa: Institut für Gleichberechtigung) betrachtete den Konflikt von Nahem und beschied die Regelung für verfassungswidrig. Dennoch benutzt Hinzpeter eben jenes Dekret, um die  Studentendemonstrationen zu verbieten.

Camila Vallejo (@camila_vallejo), Anführerin von CONFECH, tweetete:

Lo que hoy pasa en nuestro pais, desnuda a la derecha en su verdadera forma de gobernar, nosotros no tenemos miedo, ellos si.

Heute wurde in unserem Land die Regierung entblößt, wie sie wirklich ist; Wir haben keine Angst, sie schon.

Hinzpeters Entscheidung erwies sich als politischer Fehltritt für den Minister. Gleich nach Beginn der Demonstration um 10 Uhr 30 riefen Abgeordneten und Senatoren nach seinem Rücktritt wegen seiner Autorisierung einer „brutalen Niederschlagung der Studenten“ [es].

Am Montag präsentierte Präsident Sebastián Piñera einen Vorschlag von 21 Reformen, die es neuen Regierungsorganen erlauben würde, sich besser um bildungspolitische Belange zu kümmern. Sein Plan beinhaltet mehr Staatsgelder, um die Bezahlung von Lehrern und unbezahlten Studentenkrediten zu finanzieren. Auch mehr Stipendien sind vorgesehen.

CONFECH möchte sich am Freitag zu dem Plan des Präsidenten äußern. Wenn die eskalierende Gewalt und die weitergehenden Demonstrationen in Santiago und in ganz Chile als Indiz gewertet werden können, scheint Piñeras Plan die Demonstranten nicht zu beschwächtigen.

Sergio Canales, (@sergiocanalesv), tweetete:

Esto hace rato dejó de ser tema de derecha o izquierda, es gente normal que quiere las cosas más justas #4deagosto.

Das hat vor langer Zeit aufgehört, ein Thema der Rechten oder Linken zu sein, es sind ganz normale Leute die einfach wollen, dass es gerechter zugeht 

rel=”nofollow” href=”http://twitter.com/#%21/search?q=%234deagosto”>#4deagosto.

Sentidos Comunes postete ein livestream-Video des Protestes, ebenso wie @VotaInteligente (Wähl Intelligent). Auch Studenten der Universidad von Concepción in Südchile streamten den Tag lang live über Twitcam.

Ein „cacerolazo“ ist für Donnerstag Nacht geplant, wie der Global Voices Autor Felipe Cordero (@felipe_cordero) auf Twitter berichtet:

Impressive number of people banging pots throughout Santiago. It hasn't stopped. This is not a struggle of a minority of students #4deagosto.

Beeindruckend wie viele Leute auf Töpfe schlagend durch Santiago laufen. Es hat nicht aufgehört. Das ist kein Minderheitsprotests von Studenten
#4deagosto.

#cacerolazo wurde in der Nacht von Donnerstag, den 4. August, zu einem weltweiten Trend-hashtag auf Twitter.

Katie Manning berichtet für www.MiVoz.cl, die 14 Bürgerjounalismus-Seiten publizieren in allen Provinzen Chiles. Mehr Informationen über die Studentenproteste in Chile gibt es hier: www.elnortero.cl.

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