Ungarn: Osterausflug oder Evakuierung für die Roma aus Gyöngyöspata?

In letzter Zeit ist der Norden Ungarns zum Hauptschauplatz der Auseinandersetzungen zwischen ungarischen Gemeinden und den Roma geworden. In der Gemeinde Gyöngyöspata marschierten vor einem Monat paramilitärische Gruppen auf, deren rechtsextremistischer Hintergund, trotz ihrer Behauptungen Mitglieder einer Nachbarschaftswache zu sein, klar erkennbar war.

Ein Dorf ohne Bürgermeister

Am 19. April 2011 wurde dieses Video [hu] von der Roma-Nachrichtenseite So Si? [hu] veröffentlicht. Das Video thematisiert Gerüchte über ein mögliches Trainingslager einer paramilitärischen Gruppe im Dorf.  Am selben Tag wurde auch der Rücktritt des Bürgermeisters bekannt.

Roma in the Hungarian village of Gyöngyöspata. Still from video uploaded to YouTube by sosinet1.

Roma im ungarischen Dorf Gyöngyöspata. Aufnahme aus dem von sosinet1 auf YouTube hochgeladenen Video.

Das Blog Piroslap schrieb [hu], dass der Bürgermeister nach Angaben einer Nachrichtenagentur aus  gesundheitlichen Gründen zurückgetreten sei. Das Trainingslager kommentierte Piroslap zudem wie folgt:

[…] Die Gruppe Véderő will nun ein militärisches Trainingslager im Dorf abhalten. Auf ihrer Website präsentieren sie sich als eine nicht-politische Gruppierung nationaler Ausrichtung, die – nach Abschaffung der Wehrpflicht – denjenigen eine militärische Ausbildung anbieten möchte, die daran interessiert sind, aber keine professionelle Karriere als Soldaten anstreben. […]

Die Roma sind weg

Am Freitag, den 22. April hatten bereits 300 Roma das Dorf  Gyöngyöspata verlassen, angeblich aus Angst vor Mitgliedern der Bürgerwehr, die ins Dorf gekommen waren, um an dem Trainigslager teilzunehmen. Laut Medienberichten wurde die Abreise der Roma-Kindern und -Frauen vom Ungarischen Roten Kreuz und Richard Field, einem amerikanischen Geschäftsmann, organisiert. Richard Field hatte bereits im Voraus seine Besorgnis über die Situation der Roma zum Ausdruck gebracht und sogar eine Nichtregierungsorganisation zu ihrer Unterstützung gegründet.

Die ungarischen Medien beschrieben den Vorfall als eine Evakuierung, während es sich laut Regierungssprechern um einen Ostertagsausflug für die Roma handelte.

Sowohl Péter Szijjártó, der Pressesprecher des Premierministers, wie auch der Innenminister Sándor Pintér versuchten den Vorfall zu erklären. Das folgende Video [hu] zeigt Pinter auf einer Pressekonferenz, die am Freitag in Gyöngyöspata stattfand. Er sagte:

Sie (die Mitglieder der paramilitärischen Gruppierung) haben die wohltätigen Bemühungen des Roten Kreuzes zu Nichte gemacht. Der Bundesverband des Roten Kreuzes hatte die Kinder und Frauen aus Gyöngyöspata auf einen Osterausflug eingeladen.

Gellért Rajcsányi (Madniner) kommentierte den Vorfall wie folgt [hu]:

[…] Aufgrund von Drohungen haben die Roma Angst vor Gewaltverbrechen. Einer der Organisatoren der Aktion sagte, alle Roma Männer seien im Dorf geblieben, um ihr Hab und Gut zu schützen. Sie erwarteten Abgeordnete des Parlamentes sowie Vertreter von Botschaften und NGOs. Laut Janos Farkas, dem Vertreter der Bürgerrechtsbewegungung der ungarischen Roma, half das Rote Kreuz dabei, die evakuierten Frauen und Kinder in verschiedenen Aufenthaltscamps unterzubringen. Ein Vertreter des Roten Kreuzes sagte der dpa , es sei die erste Aktion dieser Art seit dem zweiten Weltkrieg. Damals hatte das Rote Kreuz Bürger evakuiert, die von paramilitärischen Gruppen bedroht worden waren. […]

Am Freitag teilte der Innenminister zudem mit, die Regierung habe einen Gesetzesentwurf verabschiedet, um die Aktivitäten von Bürgerwehren zu verbieten, die ohne Zustimmung der Polizei stattfänden und sich das Recht anmaßten, sich als Schützer der öffentlichen Ruhe aufzuspielen.

Am Freitagnachmittag die Polizei das Trainingslager der Gruppe Vedero auf. Laut Medienberichten  wurde Tamas Eszes, ein führendes Mitglied der Gruppe, festgenommen. Die rechts-konservative Nachrichtenseite Kuruc.info veröffentlichte [hu] die entsprechenden (Polizei-)Berichte und fügte eine pikante Information hinzu: Tamas Eszes wurde der Eintritt in die Ungarischen Nationalgarde verwehrt. (Andere Quellen berichteten, dass Hr. Eszes nach dem Rücktritt des bisherigen Amtsinhaber als Bürgermeister von Gyöngyöspata kandidieren werde.)

Gellért Rajcsányi schrieb, dass die ungarische Regierung die größte Verantwortung trage:

[…] Wir haben den Staat seit Jahrtausenden erhalten, um die innere und äußere Sicherheit zu gewähren. Das unbedachte Versprechen [hu], innerhalb von zwei Wochen Ordnung in den Teilen des Landes zu schaffen, in denen die Lage am hoffnungslosesten ist, hatte keine Chance auf Erfolg. Wir wissen, dass es beinahe unmöglich ist, die öffentliche Ordnung innerhalb von zwei Jahren wieder herzustellen – aber es gibt noch nicht einmal Anzeichen dafür, dass wir auf dem richtigen Weg sind! Heute, am Karfreitag haben wir ein neues Tief erreicht: Aus Angst vor Gewaltverbrechen und Sorge um ihren Besitz wenden sich manche ungarischen Bürger paramilitärischen Gruppierungen zu, während andere  auf die Hilfe von Bürgerechtsbewegungen und dem Roten Kreuz angewiesen sind. In Gyöngyspata ist der Teufel los. Man kann nur hoffen, dass die Bilder von weinenden Kindern und Männern in Uniform – neben den Nachrichten aus Libyen und der Elfenbeinküste –  in der internationalen Berichterstattung zur Kenntnis genommen werden. […]

Political action?

Der Fotograf Levente Hernádi äußerte den Verdacht [hu] dass der Vorfall politisch motiviert sei. Er wie darauf hin, dass die Vorfälle Artikel wie diesen (veröffentlicht auf einer ungarischen Nachrchtenseite) [hu] zur Folge hatten. Der Artikel ist mit Bildern illustriert, die die Roma beim Verlassen des Dorfes sowie die Mitglieder der Gruppe Véderő, die im Dorf verbleibenden Roma und ein Roma-Kind zeigen. Der Artikel berichtet ausführlich über die Roma, die  Gyöngyöspata am Wochenende verließen und in den USA und Kanada aufgrund der Gefährdung, der sie ausgesetzt sind, Flüchtlingsstatus beantragt haben.

[… ] Ich denke, dass  Gyöngyöspata ein ausgesprochen gut inszeniertes Schauspiel war, dass davon profitierte, dass die Roma ununterbrochen weinten und sich unklar ausdrückten, und die Nationale Front sich wie immer nationalistisch aufführte. Es brauchte nur einen kleinen Anreiz, und der Rest verlief wie von selbst.

Höchsten Respekt vor allen, die über solche Vorfälle berichten […].

Bis Sonntag waren alle Roma-Frauen und -Kinder wieder ins Dorf zurückgekehrt.

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